Zum Inhalt springen

Header

Audio
Candystorm
Aus 100 Sekunden Wissen vom 08.02.2023. Bild: Getty Images / Dimitri Otis
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 45 Sekunden.
Inhalt

Candystorm Hier schlagen Hass und Häme in Liebe und Lächeln um

Ein Shitstorm ist nichts Schönes. Was viele noch immer nicht wissen: Er kann gut ausgehen – und es gibt ein süsses Wort dafür.

Ein Schuss in den Ofen, und das von einem Starkoch: Jamie Oliver scherzte vor laufenden TV-Kameras einmal, er pflege seine Kinder nicht mit dem Kochlöffel zu züchtigen, wenn sie nicht parierten. Viel lieber setze er ihnen zum «Zvieri» Äpfel vor, die er zuvor mit einer extra-scharfen Chilischote eingerieben habe.

Bleibende Schäden

Das Internet war natürlich «not amused». Oliver bekam die Quittung für seine rustikal-rückständigen Erziehungsmethoden in der schwer verdaulichen Form eines sozialmedialen Denkzettels serviert, der mit viel Empörung garniert war. Der Starkoch wird mehr als einmal leer geschluckt haben.

Ein junger Mann träufelt Olivenöl auf einen Teller.
Legende: Der berühmte Tropfen, der ein Fass zum Überlaufen bringen kann? Jamie Oliver kam in seiner Karriere schon mehrfach in den zweifelhaften Genuss eines Shitstorms. Keystone / AXEL HEIMKEN

Das Schlamassel namens Shitstorm kann geschäftsschädigend sein, schlimmstenfalls hat man ein Leben lang daran zu beissen. Es passiert immer wieder: Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, müssen den Hut nehmen, den sie vielleicht gar nie trugen. Firmen bezahlen für möglicherweise moralisch zweifelhafte Marketingstrategien mit irreparablen Image-Schäden.

Herz-Emojis à discretion

Es gibt aber auch das gute Gegenstück zum Sturm aus verbalen Fäkalien und anderen unappetitlichen Anwürfen: «Candystorm» heisst der zuckersüsse Zwilling der entsetzlichen Empörungswelle und ist streng genommen eine Art Sequel.

Statt Häme, Hetze und Hate erfährt ein Opfer Zustimmung und Zuspruch, Wärme und Wohlwollen – und das im Übermass und zur allgemeinen Überraschung. Da dachte man noch, es kriege jemand so richtig Saures. Plötzlich regnet es Süssigkeiten und Herz-Emojis im Hunderttausenderpack.

Schwarz sehen für Roth

Das Licht der Sprachwelt erblickte der Begriff Candystorm im Jahre 2012, als nicht nur manche Medien Deutschlands Grünen-Politikerin Claudia Roth nach einem unterirdischen ersten Wahlresultat auf dem Parteitag als Vorsitzende weghaben wollten. Dabei war Roth als Spitzenkandidatin angetreten.

Nur: Man hatte die Rechnung ohne den Wirt jenes «Wir» gemacht, das im Netz seine Stimme erhob und nicht im Traum daran dachte, für ihre Claudia schwarz zu sehen. «Das Team ist nur vollständig mit Claudia», hiess es. «Claudia muss bleiben.» Eine Politkarriere, die zu Ende schien, erhielt aus dem Nichts neuen Schub.

Puff mit Paella

Den letzten grossen globalen Candystorm erlebte die junge Schauspielerin Halle Bailey, die in «Arielle» die erste schwarze Meerjungfrau der Disney-Geschichte spielt. Als im Herbst 2022 die ersten Schnipsel im Internet kursierten, wurde Bailey übelst rassistisch beschimpft. Aber plötzlich drehte sich der Wind: «Sie ist schwarz?», war der Grundtenor, vor allem aus kindlichem Munde. «Top!» 

Jamie Oliver, der TV-Koch, kam bisher nie in den Genuss eines Candystorms. Dafür kriegte er kurz nach seinem Chili-Fiasko erneut sein Fett weg. Er hatte seine Paella mit fragwürdigen Zutaten gepanscht. Ganz Spanien war so etwas von angefressen.

Radio SRF 2 Kultur, 100 Sekunden Wissen, 08.02.2023, 6:20 Uhr.

Meistgelesene Artikel