Nur gerade 15 wurde Carlo Acutis, bevor er 2006 an einer besonders aggressiven Form von Leukämie starb. Davor sei er ein fröhliches, gehorsames und grosszügiges Kind gewesen, sagt Antonia Salzano Acutis, die Mutter des neuen Heiligen, zu SRF.
Seine Spielsachen habe er oft verschenkt, sein Taschengeld für Obdachlose ausgegeben und er sei regelmässig zur Messe gegangen. Früh habe er auch eine Affinität für die Informatik entwickelt. Acutis kreierte eine eigene Website, mit der er Menschen den römisch-katholischen Glauben näherbringen wollte.
«Carlo ist ein Vorbild, wie er lebte, wie er war. Da ich voller Fehler bin und nicht so heilig wie mein Sohn, ist er für mich ein Ansporn, mich zu verbessern in diesem Leben», sagt seine Mutter. Ein Geschenk ist Carlo Acutis auch für die römisch-katholische Kirche. Er soll zeigen, dass Katholizismus und neue Medien sich gut vertragen.
Erzählungen von wundersamen Hostien
Dabei war Carlo Acutis kein «moderner» Gläubiger, kein Progressiver. Im Zentrum seiner Frömmigkeit steht die Hostienverehrung, die Wandlung der Hostie in den Leib Christi während der Messe - ein Trend im jungen Katholizismus. 2002 hat Carlo Acutis begonnen, eine Liste mit über 130 sogenannten Hostienwundern zusammen zu stellen und im Internet zu verbreiten. Es handelt sich um eine Art digitale Ausstellung mit Bildern und Texten zu jedem Wunder.
Diese Legenden von Hostienwundern sind aber problematisch. Das zeigt etwa das einzige Beispiel aus der Schweiz in Acutis’ Sammlung: das Hostienwunder von Ettiswil. In der digitalen Ausstellung heisst es: «Eine gewisse Anna Vögtlin, Anhängerin einer satanischen Sekte, entwendete die Haupthostie aus der Pfarrkirche.» Doch der Diebstahl misslang laut Legende. Die Hostie wurde kurze Zeit später schwebend und leuchtend aufgefunden. Anna Vögtlin wurde als Hexe verbrannt.
Wundererzählung als Vorwand
So wie Anna Vögtlin ging es vielen, die in den Hostienwunder-Geschichten als Übeltäter dargestellt wurden. Die Wunder dienten als Vorwand, Frauen, Andersgläubige, vor allem aber Jüdinnen und Juden zu verfolgen und im schlimmsten Fall in Pogromen umzubringen. So etwa in Brüssel, wo nach einem angeblichen Hostienwunder im Jahr 1370 20 Juden ermordet und die Gemeinde vertrieben wurde.
«Die Wundererzählungen, die Carlo Acutis gesammelt hat, sind historisch gesehen oft Teil des christlichen Antijudaismus», sagt Christian Rutishauser in einem Beitrag auf dem theologischen Online-Feuilleton feinschwarz.net. Jesuit Rutishauser ist Professor für Judaistik und Theologie an der Universität Luzern und engagiert im christlich-jüdischen Dialog.
Kirche muss aufklären
All dies wird in der Hostienwundersammlung von Carlo Acutis ausgeblendet. Von Anna Vögtlins Tod auf dem Scheiterhaufen etwa steht kein Wort. Damit sei die Sammlung nicht einfach antisemitisch, sondern a-semitisch, schreibt Christian Rutishauser. Die Verfolgung der Jüdinnen und Juden werde aus der historischen Überlieferung gelöscht.
«Dem jugendlichen Heiligen mögen die Zusammenhänge nicht voll bewusst gewesen sein», glaubt Rutishauser. «Dennoch ist es die Aufgabe der Kirche, die Gläubigen aufzuklären und ihnen den historischen Kontext dieser Wundergeschichten bewusst zu machen.»