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Clearview: Datenbank für Gesichtserkennung in den USA
Aus Kultur-Aktualität vom 21.01.2020.
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«Clearview»-Debatte «Wir haben schon lange keine Privatsphäre mehr»

Das US-amerikanische Unternehmen Clearview AI soll eine immense Datenbank mit Fotos aufgebaut haben. Dies berichtet die New York Times in einer grossen Recherche.

Diese Enthüllungen stossen an vielen Orten auf Kritik. Ist das Geschäft mit Gesichtserkennung legal? Der Rechtsanwalt Martin Steiger, Experte für Recht im digitalen Raum, erklärt die rechtliche Situation und mögliche Zukunftsszenarien in der Schweiz.

Martin Steiger

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Rechtsanwalt

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Martin Steiger ist Rechtsanwalt in Zürich und spezialisiert auf Recht im digitalen Raum.

SRF: Martin Steiger, überrascht Sie das Geschäftsmodell von Clearview AI?

Martin Steiger: Ganz und gar nicht. Das Modell, das Internet nach Bildern abzugrasen und suchbar zu machen, ist nicht neu. Neu scheint mir die Dreistigkeit, dass eine einzelne Person ein solches Angebot aufgebaut hat.

Ist es denn legal, dass private Firmen den Zugang zu solchen Datenbanken zwecks Gesichtserkennung verkaufen?

Aus schweizerischer und europäischer Sicht ist davon auszugehen, dass diese Bilderdatenbank nicht rechtskonform ist – aus mehreren Gründen: Es gibt das Recht am eigenen Bild, das vermutlich verletzt ist. Weiter gibt es den Datenschutz und den Persönlichkeitsschutz.

Ich gehe davon aus, dass in fünf bis zehn Jahren die Personenerkennung standardisiert und alltäglich sein wird.

Als Privatperson weiss ich ja nicht, ob Bilder von mir auf diese Weise verwendet werden. Wie kann man überhaupt dagegen vorgehen?

Das ist die Macht des Faktischen. Selbst wenn Sie es wüssten: Das Unternehmen sitzt in den USA. Ein Vorgehen wäre zwar möglich, aber aufwendig, teuer und zeitraubend. Das ist ein Hauptproblem beim heutigen Daten- und Persönlichkeitsschutz weltweit.

Nehmen wir an, eine Firma bringt eine Brille auf den Markt, mit der man Personen auf der Strasse erkennen kann. Ist dieses Szenario in Zukunft denkbar?

Ohne Weiteres. Heute wäre es in der Schweiz noch rechtswidrig. Aber ich gehe davon aus, dass in fünf bis zehn Jahren die Personenerkennung standardisiert und alltäglich sein wird.

Gesichtserkennung weckt die Angst vor Totalüberwachung. Die New York Times schreibt vom «Ende der Privatsphäre, wie wir sie kennen». Sind Sie mit dieser Einschätzung einverstanden?

Wir wissen spätestens seit den Snowden-Enthüllungen, dass wir alle von A bis Z überwacht werden, gerade im digitalen Raum – insbesondere von Sicherheitsbehörden, aber auch von Unternehmen. Insofern haben wir schon lange keine Privatsphäre mehr. Die Frage ist: Wie viel davon ist noch übrig, und wie können wir diesen Rest verteidigen?

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Braucht es Gesetzesanpassungen, um die Privatsphäre für die Zukunft besser zu schützen?

Ein Versuch ist jeweils ein neues Datenschutzrecht. Die Europäische Union hat seit etwa anderthalb Jahren die Datenschutzgrundverordnung, die DSGVO. Die Schweiz revidiert ihr Gesetz.

Das sind Versuche, die in diese Richtung gehen. Sie haben aber mit starkem Widerstand zu kämpfen und sie funktionieren auch schlecht. Und man muss sich fragen, ob die Polizei solche Daten nicht einsetzen dürfen sollte.

Man muss davon ausgehen, dass Sicherheitsbehörden auch in der Schweiz längst solche Datenbanken haben.

Wenn man ehrlich ist mit sich selbst: Vielleicht würde man es im Alter ja schätzen, wenn einem angezeigt wird, wer die Person gegenüber ist, von der ich nicht mehr weiss, wie sie heisst.

Gehen Sie also davon aus, dass Gesichtserkennung früher oder später auch bei uns kommen wird?

Die Erfahrung ist leider: Was technisch möglich ist, wird früher oder später fast immer auch gemacht. Erst, wenn man die negativen Folgen sieht, dann reguliert man allenfalls.

Man muss ausserdem davon ausgehen, dass Sicherheitsbehörden, gerade auch Geheimdienste, auch in der Schweiz schon längst solche Datenbanken haben. Denken Sie daran: Wenn sie einen Pass oder eine Identitätskarte in der Schweiz erhalten, sind dort biometrische Daten und Bilder gespeichert.

Das Gespräch führte Irene Grüter.

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