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Corona in den Medien Wissenschaftsjournalistin: «Die leisen Stimmen gehen unter»

Die Corona-Pandemie katapultierte ein paar wenige Wissenschaftler auf einen Schlag ins Rampenlicht. Und mit jedem öffentlichen Auftritt gewannen ihre Aussagen an Gewicht.

Das geht nicht immer zugunsten einer umfassenden Information von Politik und Gesellschaft, kritisiert die Wissenschaftsjournalistin Alexandra Bröhm.

Alexandra Bröhm

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Alexandra Bröhm arbeitet als Wissenschaftsjournalistin für Tamedia und hat seit Februar viel über die Pandemie geschrieben, unter anderem auch im Schweizer Forschungsmagazin Horizonte.

SRF: Sie sprechen von einer «Konzentration auf einige wenige bekannte Namen bei den Corona-Experten». Warum wäre es gut gewesen, es hätten sich mehr Forschende selbst zu Wort gemeldet?

Alexandra Bröhm: Weil ihre Einschätzungen sehr wichtig waren und sind. Es gibt Themen wie diese Pandemie oder auch die Klimaerwärmung, wo es entscheidend ist, die wissenschaftlichen Fakten zu kennen, um Entscheidungen zu treffen.

Vor der Klimaerwärmung haben Forschende schon vor Jahren gewarnt, lange hat niemand auf sie gehört. Die Folgen sehen wir jetzt.

Selbstkritisch muss man anmerken, dass Medien, gerade wenn es schnell gehen muss, häufig bei jenen Experten zuerst anfragen, die man schon kennt. Der daraus resultierende Bekanntheitsgrad verleiht diesen Experten wiederum Gewicht. Auf leise Stimmen wird weniger gehört.

Nicht immer meldeten sich jene mit dem grössten Fachwissen am lautesten zu Wort.

Wie hat das die Politik beeinflusst?

Ich weiss nicht, ob es einen grösseren Einfluss auf die Politik gehabt hätte, wenn sich mehr Forschende zu Wort gemeldet hätten. Aber ich verstehe nicht, warum sich manche in der Schweiz noch immer schwertun mit der Wissenschaft.

Wir haben Spitzenuniversitäten im Land wie beispielsweise die ETH Zürich, die es regelmässig in internationale Top-Ten-Listen schafft. Wir sollten dieses Wissen nützen – es wird unter anderem mit Steuergeldern finanziert.

Auffallend ist, wie wenig forschende Frauen sich öffentlich zu Wort gemeldet haben. Wie erklären Sie sich die Gründe für dieses Schweigen?

Gerade im Bereich der Naturwissenschaften gibt es mit steigendem akademischem Grad noch immer deutlich weniger Frauen als Männer. Ob Publikumsmedien häufiger bei männlichen Experten anfragen, ist schwierig festzustellen, aber gut möglich.

Mir fällt in meiner eigenen Arbeit als Journalistin immer wieder auf, dass Frauen, wenn ich sie als Expertinnen anfrage, vorsichtiger und zögerlicher sind, sich mit allgemeinen Einschätzungen zu äussern als Männer.

Gerade während der Pandemie müssen sich die Forschenden manchmal auf dünnes Eis begeben, wenn sie eine Einschätzung machen. Männern scheint das leichter zu fallen.

Offenbar gibt es Unterschiede bei Expertinnen und Experten beim Umgang mit Unwissen. Welche?

Nicht alle Experten und Expertinnen, die sich zu Wort melden, forschen auch tatsächlich selbst zu Themen, die direkt die Pandemie betreffen. Es lohnt sich jeweils genau hinzuschauen, worauf jemand seine Aussagen stützt.

Wie gingen die Expertinnen und Experten mit ihren Aussagen um, die sich zu einem späteren Zeitpunkt als falsch erwiesen?

Die Pandemie ist eine sehr dynamische Situation. Wir wissen heute viel mehr, als wir im März wussten.

Nicht alle gingen mit diesem Dilemma gleich um, hatten das gleiche Vorwissen für fundierte Einschätzungen. Und nicht immer meldeten sich jene mit dem grössten Fachwissen am lautesten zu Wort.

Welche Rolle haben die Experten und Forschenden bei politischen Entscheidungen gespielt?

Sie haben in der Schweiz zu lange eine zu kleine Rolle gespielt. Die Pandemie ist eine Ausnahmesituation, es geht um Menschenleben. Gleichzeitig wussten wir zu Beginn noch wenig über das Virus.

Umso wichtiger wäre es gewesen auf jene Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu hören, die in diesen Fachgebieten forschen.

«In diesen Wochen ist mein Vertrauen in die Politik erschüttert», war von einem Schweizer Epidemiologen zu hören. Haben die Politiker zu wenig auf die Forschenden gehört? War ihr Einfluss zu klein?

Es hat in der Schweiz definitiv zu lange gedauert, bis die Politik auf die Wissenschaft gehört hat. Forscher wie der Epidemiologe Christian Althaus von der Universität Bern warnten schon Ende Januar eindringlich vor dem Virus und einer möglichen Pandemie.

Wertvolle Wochen verstrichen jedoch, in denen man die Ausbreitung des Erregers hätte verlangsamen können. Selbst als die Fallzahlen Anfang März rasant anstiegen, dauerte es noch bis die Forscher und Forscherinnen in die Entscheidungsprozesse des Bundes miteinbezogen wurden.

Das änderte sich erst nach dem Lockdown mit der Gründung der Science Taskforce Ende März.

Das Gespräch führte Christine Schulthess.

Sendung: SRF 1, Sternstunde Philosophie, 27.9.2020, 11:00 Uhr ; 

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