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Gemälde zweier Soldaten in Uniform.
Legende: Enthusiastisch oder bedrückt? Schweizer Soldaten im Ersten Weltkrieg auf einem Gemälde in der Soldatenstube Andermatt. Wikimedia/Paebi

Der 1. Weltkrieg «Das ist eine Farce» – Schweizer Zeitzeugen des Ersten Weltkriegs

Noch im Juli 1914 ging die Bevölkerung in der Schweiz nicht davon aus, dass es zu einem grossen Krieg kommen sollte, der die Welt veränderte. Das Land blieb zwar verschont, doch die Menschen erlebten diesen Krieg auch hier als Zäsur. Dies zeigen Aufnahmen von Zeitzeugen aus dem SRF-Archiv.

Für die junge Martha Strübin aus Basel scheint Ende Juli 1914 die Welt noch in Ordnung. Sie besucht mit ihren Eltern und ihren Geschwistern die Landesausstellung in Bern, wo sich die Schweiz als Nation von ihrer besten Seite präsentiert. Doch da ist Europa schon in Aufruhr. Und bald folgt Schlag auf Schlag ein politisch brisantes Ereignis aufs andere: Am 28. Juli 1914 erklärt Österreich-Ungarn Serbien den Krieg. Und am 1. August ordnen der russische Zar und die deutsche Reichsregierung die Mobilmachung an.

Notvorrat aus dem «Konsi»

Der Bundesrat zieht nach. Anfang August rücken 22'000 Männer in die Schweizer Armee ein. Auch Marthas Vater ist dabei. Sie ist stolz darauf, für den Korporal Strübin im «Konsi» Notvorrat zu besorgen.

Doch ihre Mutter macht sich furchtbar Sorgen. Sie legt sich nachts nur noch in den Kleidern schlafen und schickt die Kinder mit einem Mäppchen um den Hals ins Bett, die Identitätskarte und das Kassabüchlein darin sind griffbereit. Dies für den Fall, dass es einen Alarm gibt und eine Evakuation ansteht.

Als der Schweiz im Laufe des Kriegs die Kohle ausgeht, bleiben die Strübin-Kinder zu Hause. In Basel wird nur noch ein Schulhaus geheizt für die Gymnasiasten, die kurz vor der Matura stehen. Die anderen werden mit Hausaufgaben «en gros» eingedeckt und müssen zu Hause arbeiten.

Ernstfall

Aufnahmen von Zeitzeugen geben 100 Jahre nach Kriegsausbruch einen Eindruck der damaligen Stimmung. So ist Veteran Müller, der im Ersten Weltkrieg im Aktivdienst ist, ist beim Aufstellen der Bataillone von der Fahnenübergabe schwer beeindruckt.

Er weiss «tief innen im Herz», dass es jetzt ernst gilt. Beim Moment des Einrückens empfindet er zwar eine «bedrückte Stimmung», aber auch «Enthusiasmus». Denn jetzt wird er für die wichtige Aufgabe der Landesverteidigung gebraucht.

Veteran Nydegger dagegen kann seinem Aktivdienst nichts Positives abgewinnen. Als Soldat verliert er seine Stelle als Maschinenzeichner bei der Von Roll und wird bald ersetzt.

Gefährliches Terrain

Schätze aus dem Radioarchiv

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In der Sendung «Kontext» auf Radio SRF 2 Kultur sind am 1. August viele Stimmen von Zeitzeugen zu hören, die den Ersten Weltkrieg in der Schweiz erlebt haben: Erinnerungsberichte, die Jahrzehnte später für Radiosendungen aufgezeichnet wurden – historische Trouvaillen aus dem Radioarchiv. Er gibt Einblick in eine Welt, die längst vergessen scheint.

Viele Schweizer Soldaten sind bis zum Ersten Weltkrieg nicht weit herumgekommen. Denn kaum jemand hat ein Auto. Und eine Reise mit dem Postauto oder Zug ist ein Ereignis. So lernen viele junge Männer im Aktivdienst die Schweiz und ihre verschiedenen Landesteile erstmals kennen.

Veteran Müller etwa weiss bei seinem Einsatz im Jura nicht genau, wo die Grenze durchgeht. Auch das Kartenmaterial lässt zu wünschen übrig. Prompt gerät er auf französisches Terrain. Doch er hat Glück: Der Franzose, der ihn aufgreift, spricht ihn nachbarschaftlich als «cher camarade» an und schickt ihn unversehrt in die Schweiz zurück.

Helvetisches Sittengemälde

Und da ist schliesslich der Historiker und Schriftsteller Jean Rudolf von Salis, der sich in seinem Lebensbericht Ende der 1970er-Jahre an den Sommer 1914 erinnert, als er zwölf Jahre alt war. In seinem Werk «Grenzüberschreitungen» entwirft er ein Sittengemälde der gehobenen Gesellschafsschicht und einer europäisch denkenden und gebildeten Elite in der Schweiz.

Darüber hinaus porträtiert er seine Familie, die in Bedrängnis kommt, weil ihre Mitglieder auf Europas Schlachtfelder gegeneinander antreten. Jean Rudolf von Salis, der später mit seiner Radiosendung «Weltchronik» den Zweiten Weltkrieg kommentieren wird, erlebt den Ersten Weltkrieg als Umbruch – persönlich und politisch.

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