Um dem Klimawandel und anderen Krisen gewachsen zu sein, könnten wir Menschen von Flora und Fauna viel lernen: für unser Zusammenleben, unsere Technologien und eine überlebensfähige Zukunft, schreibt James Bridle in seinem neuen Buch.
Ein Mauerblümchen als Saubermacher
Im Nordosten Griechenlands wird mithilfe einer KI Erdöl effizienter abgebaut. «Doch jeder Tropfen Öl, den wir aus der Erde holen, zerstört sie und unsere Zukunftsperspektiven», erklärt Bridle. «Kann ein System, das mithilft, sich selbst zu vernichten, intelligent sein?»
Im gleichen Gebiet werden Stoffe auf viel nachhaltigere Weise abgebaut: Unscheinbare Pflanzen, genannt Hyperakkumulatoren, ziehen Metalle aus der Erde und speichern sie in ihren Blättern.
Der Mensch könnte über diese Pflanzen Nickel und andere Metalle ernten. Vielleicht liessen sich damit sogar verminte und vergiftete Böden säubern.
Ein blitzschneller Schleimpilz
Hyperakkumulatoren sind lange nicht die einzige Inspirationsquelle: Da gäbe es auch noch den Schleimpilz. Dieses Wesen zwischen Pflanze und Tier hat weder Gehirn noch Nervenzellen. Trotzdem übertrifft es mit seinen mathematischen Fähigkeiten Mensch und Computer. Die Strecke zwischen zwei oder mehreren Städten «errechnet» der Pilz in Windeseile.
«Das sind nur einzelne Organismen, die wir langsam zu verstehen beginnen. Schaut man auf das ganze Ökosystem, eröffnen sich unglaubliche Möglichkeiten.» Viele Formen von Intelligenzen sind radikal anders als unsere. Um sie zu erkennen, brauche es einen neuen Blick – und manchmal eine neue Technologie.
Das Gedächtnis der Pflanzen
Erst vor Kurzem realisierte der Mensch – vielleicht dank seines eigenen Netzwerkes, dem Internet –, dass unter seinen Füssen ein enormes Pilznetzwerk existiert. Dieses «Wood Wide Web» hält Bäume und Erde zusammen, zudem fliessen darüber Nährstoffe und Kommunikation.
In der Wissenschaft wächst allmählich ein neues Verständnis von Intelligenz: So weiss man heute, dass viele Tiere Erdbeben früher spüren als menschliche Warnsysteme. Derweil haben Pflanzen gelernt, sich zu erinnern und aktivieren schon beim Fressgeräusch eines Feindes ihre Schutzmechanismen.
Nachhilfe aus der Natur
«Intelligenz ist kein statisches Konzept, sie entsteht immer in Beziehungen, im Austausch mit der Welt», so Bridle. Alles funktioniere im Zusammenspiel. Auch wir Menschen sind keine abgeschlossene Einheit, laufen wir doch mit 2–3 kg Mikroben in und auf uns herum.
Alles ist Kooperation. Wer dies anerkennt, steigert seine Chance, zu überleben.
Die Idee, dass es eine Natur gäbe, von der sich der Mensch getrennt betrachten könne, sei folglich falsch. Selbst die Technologie zählt James Bridle zur Ökologie dazu. «Alles ist Kooperation. Wer dies anerkennt, steigert seine Chance, auf diesem Planeten zu überleben.» Dazu sollten wir von Tieren oder Pflanzen lernen, die auf Kooperation setzen.
Wir können jedoch Pflanzen, Tiere und Pilze nicht bitten, uns Lösungen zu liefern, und so zerstörerisch weiterleben wie bisher. Vielmehr, so Bridle, sollten wir von ihnen lernen, «uns wieder unserem Umfeld anzupassen und mit weniger Ressourcen zu leben».
Bisher sei KI primär dazu trainiert worden, kompetitiv und hocheffizient zu sein, etwa um den letzten Tropfen Erdöl aus dem Boden zu holen. Bringe man sie dazu, kooperativer zu «denken», hätten vielleicht auch die Böden im Nordosten Griechenlands eine Chance auf Zukunft.