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Diskriminierung im Rampenlicht Eine Bühne für alle? So elitär sind die Schweizer Kulturbetriebe

Prekäre Arbeitsbedingungen und hohe Einstiegshürden: Der Schweizer Kulturbetrieb bemüht sich um Diversität, doch die Strukturen ändern sich nur langsam. Wie sich Klassismus in der Kulturbranche zeigt und was dagegen getan werden kann.

In der «Villa Morillon» in Bern ist derzeit der Shakespeare-Klassiker «Romeo und Julia» zu sehen. Doch diesmal kommt das Paar nicht aus verfeindeten wohlhabenden Familien, sondern ihre soziale Herkunft unterscheidet sich. Das Theaterstück fragt danach, welchen Einfluss Klassenzugehörigkeit auf Beziehungen hat.

Theaterszene mit zwei schlafenden Personen und einer künstlerischen Figur, rot beleuchtet.
Legende: Welche unausgesprochenen Konventionen beeinflussen unsere Liebesbeziehungen? Diese Frage stellt die Neuinszenierung von «Romeo und Julia» in der Berner «Villa Morillon». Bühnen Bern/Yoshiko Kusano

Eine weitere Inszenierung im Schweizer Kulturbetrieb, die das Thema Klassismus auf die Bühne holt. Nachdem den Diskriminierungsformen Rassismus und Sexismus viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde, rückt seit ein paar Jahren auch die Frage nach der sozialen Klasse in den Vordergrund.

«Klassismus beschreibt die Diskriminierung entlang von sozialer Herkunft und sozialem Status», erklärt Francis Seeck von der sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Technischen Hochschule Nürnberg.

Francis Seeck

Professur für Soziale Arbeit

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Francis Seeck forscht und lehrt zu Klassismuskritik, politischer Bildung, Gender und Queer Studies, Antidiskriminierungspädagogik und menschenrechtsorientierter Sozialer Arbeit. Die Professur ist an der Fakultät für Sozialwissenschaften an der Technischen Hochschule Nürnberg angesiedelt. Seeck ist ausgebildet im Bereich Antidiskriminierungstraining und verfasste mehrere Sachbücher. Im März erschien im Unrast-Verlag «Klassismus überwinden. Wege in eine sozial gerechte Gesellschaft».

«Betroffen sind erwerbslose, armutsbetroffene und wohnungslose Menschen sowie Kinder und Jugendlichen aus der Arbeiterklasse.»

Klischierte Kulturbranche

Der Antidiskriminierungsbereich müsse an drei Punkten ansetzen: Publikum, Programm und Personal.

Publikum: Die Frage, wen Kulturinstitute erreichen, stelle sich insbesondere in Einrichtungen der sogenannten Hochkultur. «Wir sehen hier, dass armutsbetroffene Menschen und Personen der Arbeiterklasse strukturell ausgeschlossen werden und an vielen Angeboten nicht teilhaben können.»

Personal: Welche Geschichten tauchen im Programm von Theatern und Museen auf? Shakespeare, die «Krume Brot» von Lukas Bärfuss oder ein Abriss der Schweizer Arbeiterbewegungen? Auf welche Weise diese Geschichten gezeigt werden, sei oft sehr klassistisch und klischeehaft.

Über soziales und kulturelles Kapital

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Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1930-2002) prägte die Unterscheidung zwischen

  • ökonomischem
  • sozialem und
  • kulturellem Kapital.

Ökonomisches Kapital meint Eigentum und Vermögen. Bei sozialem und kulturellem Kapital geht es um Bildungsabschlüsse und soziale Netzwerke, die sich gegenseitig verstärken und umwandeln.

Laut Francis Seeck spielen alle drei Bereiche im Kulturbereich eine wichtige Rolle.

Häuftig bestehen starke Hierarchien zwischen verschiedenen Kulturformen und kulturellen Praktiken (Theater oder Musical, Klassik oder Pop).

Diese sind gesprägt durch die sozialen Räume, in denen sie stattfinden, und durch die sozialen Klassen, mit denen sie in Verbindung gebracht werden.

Die Kategorien des sozialen und kulturellen Kapitals machen somit Strukturen sichtbar, die sonst weniger auffallen.

    Programm: «Wir wissen, dass die soziale Herkunft sehr ausschlaggebend ist, um in diesem Bereich Karriere zu machen», sagt Seeck. Netzwerke, Kontakte, die Möglichkeit kostenlose Praktika zu machen – all das seien Türöffner für beliebte Stellen.

Kulturprojekte für alle

Dass das Thema Klassismus in hoch subventionierten Kultureinrichtungen angekommen sei, habe unter anderem mit schwindenden Publikumsahlen zu tun. So auch in der Schweiz. Die Thematik lockt neue Zielgruppen an. Das zeigt die ausverkaufte sozialkritische Adaption von Romeo und Julia in Bern.

«Das Thema wird einmal behandelt, aber an den eigenen Strukturen ändert sich nicht so viel», kritisiert die Expertin. Mit einer eigens angestellten Diversitätsagentin versucht etwa das Schauspielhaus Zürich, langfristig Strukturen in der eigenen Einrichtung zu verändern.

Um überhaupt die ersten Schritte gehen zu können, hat sich in Basel vor gut 14 Jahren die Organisation GGG Kulturkick gegründet. «Wir möchten eigene Erfahrungen fördern und einen Wissenszugang in die Förderstrukturen schaffen», sagt die Geschäftsleiterin Vanessa Reiter.

Was ist GGG Kulturkick?

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GGG Kulturkick gehört zum Verein Gesellschaft für das Gute und Gemeinnützige Basel (GGG) Basel und hat zum Ziel, möglichst viele junge Menschen bei ihren ersten Schritten in den Kulturbetrieb zu unterstützen.

Mittels Beratungen, Feedback auf Projektanträge, Vernetzungsangeboten und natürlich Geld werden unterschiedlichste Projektideen gefördert.

Seit 2023 erhält die Organisation einen Leistungsauftrag vom Kanton-Basel Stadt. Dadurch können Projekte von Personen bis 30 Jahren unterstützt und vermehrt Workshops in Schulen angeboten werden.

Geschäftsstelle, Fachgruppe und Kommission setzen sich aus jungen Menschen aus Basel zusammen, die unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven mitbringen.

Bei GGG Kulturkick gingen mehrheitlich Anträge von Studierenden oder jungen Leuten mit Matura ein. Aber eben nicht nur. «Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen und zuzuhören», sagt Reiter. «Viele Personen, die zum ersten Mal kommen, sehen sich oft nicht als Kulturschaffende.»

Empowerment ist das Wort der Stunde. Neben Mentorings und kostengünstigen Ausbildungen sollten gemäss Francis Seeck vor allem unterschiedliche Bildungswege akzeptiert und wertgeschätzt werden.

SRF4 News, Nachrichten, 4.9.2024, 11:53 Uhr

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