Das Wichtigste in Kürze
- In einer Online-Abstimmung gaben Dänen und Däninnen an, welche Werte sie mit ihrem Land verbinden.
- Die Idee des Wertekanons stammt vom bürgerlichen Minister Bertel Haarder , der damit vor allem die Einbürgerungspolitik in den Blick nimmt.
- Zu den zehn populärsten Grundwerten gehören das Kulturerbe, Gleichberechtigung und die dänische Gemütlichkeit.
Ein Flugblatt namens «Wertekanon»
Einen besseren und noch mehr auf ihn zugeschnittenen Auftrag hätte sich Dänemarks «ewiger» Minister Bertel Haarder nicht vorstellen können: Ausgerüstet mit einem Flugblatt mit dem Titel «Wertekanon» stellte sich der 72 Jahre alte Haudegen der regierenden Liberalen in der letzten Woche vor den Kopenhagener Hauptbahnhof.
«Endlich wissen wir, was uns in Dänemark wirklich wichtig ist», lobpreiste Haarder, der in fast dreissig Jahren jeder bürgerlichen Regierung im Land angehört hat, das von ihm eingefädelte Abstimmungsverfahren zu den wichtigsten Werten des Fünf-Millionen-Volkes.
Schema der gemeinsamen Werte
Die Stossrichtung der Umfrage ist klar. «Wer zu uns kommen will, muss sich den hiesigen Gebräuchen anpassen», betonte der ausgebildete Volksschullehrer Haarder, wann immer er konnte.
Der Kultur- und Kirchenminister, der lange am rechten Rand seiner Partei operierte, verkörpert mit dieser Aussage den dänischen Mainstream.
Nur: was ist eigentlich Dänisch? Und: welche gemeinsamen Werte hat dieses Land?
Ein Teil der dänischen Bevölkerung ging diesen Fragen im vergangenen Jahr im Rahmen von Haarders «Wertekanon»-Initiative nach.
Wenig überraschend
Online wurden fast 2500 verschiedene Vorschläge eingebracht. An der Schlussabstimmung im Internet nahmen gut 300’000 Personen teil. Herausgekommen ist schliesslich eine «Top Ten»-Liste der dänischen Werte.
Diese kommt so überraschend und innovativ nicht daher: zu den populärsten Grundwerten gehört nämlich neben dem christlichen Kulturerbe auch die dänische Sprache.
Hinzu kommen universale Grundfreiheiten wie die Gleichberechtigung der Geschlechter und der Rechtsstaat. Weiter werden das liberale Gedankengut, das Vertrauen in die Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie der Wohlfahrtsstaat als dänische Grundwerte genannt.
Diskussion um «Dänentum»
Alles in allem also wenig Neues unter der Sonne – aber immerhin ein symbolträchtiger Ausdruck dessen, was dieses Land zwischen Ost- und Nordsee derzeit besonders beschäftigt. Nämlich die eigene nationale Befindlichkeit.
Kein Wunder wurde zum Jahresende nicht nur der «Wertekanon» eifrig diskutiert, sondern sorgte auch das Wort des Jahres in Dänemark für Aufsehen: es ist das «Dänentum».
Musterschüler der Globalisierung
Was in anderen Staaten Europas schnell zu heissen politischen Debatten über Leitkulturen und kulturellen Einheitsbrei führt, ist in Dänemark bis heute wenig umstritten: das kleine Land und seine Gesellschaft versteht sich bis heute als eine Art «Grossfamilie» mit klaren internen Spielregeln.
Nur sieht die Realität ziemlich anders aus. Dänemark verhält sich als Mitglied wichtiger internationaler Organisationen wie der Nato und der EU im Normalfall eher als Musterschüler der Globalisierung.
Beiträge zum Thema
Von weltoffen zu nationalistisch
Die Spannung zwischen kleinstaatlichem und mit Selbstvertrauen überversorgten Selbstverständnis, und der Notwendigkeit, sich gerade als kleines Land global zu engagieren, hat in den vergangenen Jahren vor allem der nationalkonservativen Dänischen Volkspartei in die Hände gespielt.
Diese Stützpartei der regierenden Liberalen im dänischen Parlament tritt offen rechtspopulistisch und islamkritisch auf. Und hat es in den vergangenen 15 Jahren geschafft, den öffentlichen Diskurs im Land von betont weltoffen-liberal zu nationalistisch-antiliberal zu verändern.
Erschwerte Einbürgerung
Dazu beigetragen hatte anfänglich auch der Konflikt um die sogenannten Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Regionalzeitung «Jyllands-Posten».
Im Schatten dieser Affäre, die bei Protesten im Nahen Osten auch Todesopfer forderte, sind die Einwanderungsgesetze des Landes Schritt für Schritt verschärft worden.
Gleichzeitig wurden die Anforderungen an Einwanderungswillige höher. Ob sich Menschen, die einen dänischen Pass beantragen, künftig auch die neuen «zehn Grundwerte», wie sie Bertel Haarder nennt, auswendig lernen müssen, ist noch unklar.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Kompakt, 12.12.2016, 17:15 Uhr