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3sat / nano: Mit RaProf radikale Tendenzen erkennen
Aus Kultur Extras vom 28.08.2017.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 50 Sekunden.
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Werkzeug zur Prävention Eine Software soll radikalisierte Schüler erkennen

Pubertäre Provokation oder schon bedenklich? Eine Software soll Lehrern und Sozialarbeitern dabei helfen, radikale Tendenzen frühzeitig zu erkennen.

  • Die Software RaProf soll bei der Früherkennung radikaler Jugendlicher helfen.
  • In der Stadt Zürich kommt die Software zum Einsatz, wenn nach einem Gespräch zwischen Lehrer und Extremismus-Fachkraft der Verdacht der Radikalisierung bestehen bleibt.
  • Die Software stellt der Lehrperson 46 Fragen. Sie zielen auf Veränderungen ab, die sich zeigen, wenn Jugendliche in die Welt der Dschihadisten eintauchen.

Der Jüngste der spanischen Terrorzelle, der am 17. August 2017 in Barcelona 14 Menschen getötet hat, war erst 17-jährig. Er wurde einen Tag nach dem Attentat von der Polizei erschossen.

Screenshot

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Wir sprechen über aktuelle Geschichten und Debatten im Internet. Von Montag bis Donnerstag um 17.40 Uhr in der Rubrik «Screenshot» bei Radio SRF 2 Kultur.

Das Umfeld der jungen Männer will von der Radikalisierung nichts mitbekommen haben. Auch den Behörden waren die jungen Islamisten nicht bekannt.

90 Schüler gemeldet

Damit Terrorzellen wie jene in Spanien nicht im Stillen gedeihen können, setzen Extremismusfachstellen in der Schweiz immer öfter eine neue Software ein. Sie heisst «Radicalisation Profiling», kurz RaProf, und soll bei der Früherkennung von radikalen Jugendlichen helfen.

Porträt Daniele Lenzo
Legende: Daniele Lenzo von der Fachstelle für Gewaltprävention der Stadt Zürich hat RaProf mitentwickelt. 3sat

Am meisten Erfahrung hat man bei der Fachstelle für Gewaltprävention der Stadt Zürich. 90 Mal wurde sie von Lehrern oder Sozialarbeitern seit Januar 2016 mit dem Verdacht kontaktiert, dass sich ein Schüler radikalisiert haben könnte. «In sechs Fällen war es tatsächlich so und wir mussten die Polizei einschalten», sagt Fachstellenleiter Daniele Lenzo, der RaProf mitentwickelt hat.

Die Software stellt dem Lehrer 46 Fragen

RaProf kommt zum Einsatz, wenn nach einem Gespräch zwischen Lehrperson und Extremismus-Fachkraft der Verdacht der Radikalisierung bestehen bleibt. Die Software stellt dem Lehrer 46 Fragen. Diese Fragen zielen auf Veränderungen ab, die sich immer wieder zeigen, wenn Jugendliche in die Welt der Dschihadisten eintauchen:

Zum Beispiel, ob er oder sie den Glauben plötzlich strenger als bislang praktiziert. Ob Musik und Kino tabu sind und der Kontakt zu alten Freunden abbricht. Oder ob einschlägige Islamistenseiten angeklickt werden. Dabei nennt der Lehrer weder Namen noch Herkunft des Schülers. Alles ist anonym.

Porträt Miryam Eser Davolio
Legende: «Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht», warnt Extremismusforscherin Miryam Eser Davolio. 3sat

Werden Vorurteile zementiert?

Als Miryam Eser Davolio, Extremismusforscherin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, zum ersten Mal von dem Tool hörte, hatte sie grosse Bedenken. Sie befürchtete, dass sich RaProf auf Äusserlichkeiten fixiert, Vorurteile zementiert und gläubige Muslime zu Unrecht in die radikale Ecke stellt.

Aber als sie die Fragen sah, wurde sie eines Besseren belehrt: «Die Fragen sind vor allem auf die Einstellungsveränderungsprozesse ausgerichtet», sagt sie, «man bekommt ein ganzheitliches Bild.»

RaProf-Rechtsextremismus

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Inzwischen gibt es auch «RaProf-Rechtsextremismus» – derzeit noch in der Testphase. Auch hier zielen die Fragen auf Veränderungen ab, die sich immer wieder zeigen, wenn Jugendliche in die Welt der Rechtsradikalen eintauchen. Zum Beispiel: Lehnt er oder sie Ausländer ab? Gibt es neue Facebook-Freunde aus dem rechtsextremen Milieu?

Ein einheitliches Terroristen-Profil gibt es nicht

Die Antworten analysiert RaProf auf Basis eines Algorithmus und spuckt am Schluss eine Bewertung aus – wohlwissend, dass es ein einheitliches Terroristen-Profil nicht gibt. Diese Bewertung plus die Einschätzung von mindestens zwei Extremismus-Fachkräften führen schliesslich zur Beurteilung.

«In der Mehrheit der Fälle konnten wir entwarnen und beruhigen», sagt Lenzo. Das findet er genauso wichtig wie die Tatsache, dass die sechs Jugendlichen, die sich radikalisiert haben, fortan auf dem Radar der Polizei sind.

42 Jugendliche hatten nur provoziert

Die Ergebnisse im Detail: 42 hatten «nur» provoziert, fünf wurden zu Unrecht verdächtigt. Das Problem lag bei den Lehrern und ihrer falschen Vorstellung vom Islam.

31 Jugendliche begannen sich radikalen Gruppen zuzuwenden, weil sie ausgegrenzt oder gemobbt wurden. Und in diesen Fällen passiert etwas ganz Wichtiges: Lenzos Mitarbeiter versuchen die Schüler wieder in den Klassenverband zurückzuholen. Und zwar indem sie die Lehrer in entsprechenden Massnahmen schulen. Das ist klassische Präventionsarbeit.

Radikalisierung

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Legende: Getty Images

«Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht»

Doch woher weiss Lenzo, dass sie mit ihrem Urteil auch wirklich richtig liegen? Und dass sie nicht fälschlicherweise jemanden als Provokateur einschätzen, obwohl er ein Radikaler ist?

«Hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht», sagt Eser Davolio. Und Lenzo ergänzt: «In Fällen, wo wir unsicher sind, bleiben wir natürlich dran.» Konkret heisst das: Lehrer und Sozialarbeiter haben den Verdächtigen weiterhin auf dem Radar.

Und das ist der Knackpunkt fast jeder Früherkennung. Sie funktioniert nur, wenn die Jugendlichen noch mit aufmerksamen Erwachsenen zu tun haben – also entweder in ihren Familien oder in Schulen, Jugendclubs, Sportvereinen, Flüchtlingsheimen. Weilen sie nur noch unter ihresgleichen, verschwinden sie von fast jeglichem Radar.

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei 3sat.de.

Software Ra-Prof Radicalisation Profiling

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