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Erdogan-Proteste im Minirock Türkische Girlband im Visier der Justiz – wegen «Exhibitionismus»

«Manifest» ist bei den Protesten gegen die Inhaftierung des Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu bekannt geworden. Seither erklimmen die Songs der sechs Musikerinnen die türkischen Charts. Nun leitet die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen die Girlgroup ein – wegen «Exhibitionismus und Obszönität».

«Recht! Gesetz! Gerechtigkeit!» rief das Publikum bei einem ausverkauften Konzert der Popgruppe «Manifest» in Istanbul am Wochenende. Dies ist der Slogan der Protestbewegung gegen das Regime von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. «Recht! Gesetz! Gerechtigkeit!» skandierten auf der Bühne auch die Sängerinnen, die den Slogan in einem ihrer Hits vertont haben.

Die sechs jungen Frauen sind seit den Protesten gegen die Inhaftierung des Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu in der Türkei Superstars – und Symbole der Frauenpower. Aber jetzt schlägt das Regime zurück.

Kometenhafter Aufstieg

Die Musikerinnen hätten mit ihrem Auftritt in Istanbul «den allgemeinen Anstand und die moralische Sauberkeit sowie die Keuschheit, Scham und Sittlichkeit der Gesellschaft verletzt», erklärte die Generalstaatsanwaltschaft Istanbul zum Tanz der Frauen, die bei dem Auftritt knappe Shorts und Miniröcke trugen. Die Justiz habe deshalb Ermittlungen wegen «obszöner Handlungen» und «Exhibitionismus» aufgenommen. Am Dienstag wurden die Sängerinnen sogar vorübergehend festgenommen und vom Haftrichter unter Auflagen auf freien Fuss gesetzt; dabei erhielten sie eine Ausreisesperre und dürfen die Türkei nicht verlassen.

«Manifest» haben in dem halben Jahr seit ihrer Gründung bei einer Talentshow einen kometenhaften Aufstieg erlebt. Zurzeit ist die Girlband die erfolgreichste Popgruppe der Türkei.

Ihr Debüt-Album «Manifestival» stieg im Frühjahr zur Nummer Eins der Türkei auf. Die sechs Frauen im Alter von 21 bis 25 Jahren begeistern ihr junges Publikum mit Gesang und Tanz im Stil von K-Pop mit türkischen Einflüssen wie etwa von Mega-Star Tarkan.

Klare politische Positionierung

Populär sei bei der Jugend auch ihre politische Haltung, sagt der Popkultur-Experte Kenan Behzat Sharpe von der Sabanci-Universität in Istanbul. «Als sie im März ihre ersten Songs veröffentlichten, kurz nach der Festnahme von İmamoğlu, da beschlossen diese sechs Frauen, die Veröffentlichung ihrer ersten Single zu verschieben, um nicht von den Protesten abzulenken», sagt Sharpe. «Das war ein sehr kluger Schachzug: Sie positionierten sich damit bereits vor ihrer ersten Single-Veröffentlichung klar auf der Seite der Opposition.»

Doch die Kritik an den jungen Frauen liess nicht lange auf sich warten. Ein Konzert der Gruppe im ostanatolischen Erzurum wurde letzte Woche von der Stadt verboten, weil «ihre Kleidung unpassend» sei. Darauf folgen nun die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Istanbul.

Kulturelle Eifersucht

Der Kultur-Experte Sharpe vermutet hinter dem staatlichen Vorgehen gegen «Manifest» auch eine kulturelle Eifersucht des Regimes, das es in über 20 Jahren an der Macht nicht vermocht habe, einen konservativen Gegenentwurf zur Popkultur zu schaffen.

«Das ist wohl auch ein Grund, warum Gruppen wie ‹Manifest› in Regierungskreisen Unbehagen hervorrufen», sagt Sharpe. «Weil diese ihnen vor Augen führen, dass sie – ausser beim Fernsehen – in der populären Kultur erfolglos sind.»

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 9.9.2025, 17:10 Uhr

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