Katrin Atkins ist Kampfmittelbeseitigerin, so die offizielle Berufsbezeichnung. Eigentlich hat sie einen hundskommunen Beruf gelernt: Nach der Schule macht sie eine Grafiklehre und gründet ihre eigene Werbeagentur in Bern.
Das geregelte Büroleben damals macht Katrin Atkins unruhig. «Ich bin nicht gut mit Routinen und mit 27 habe ich mich gefragt, ob ich wirklich den Rest des Lebens Werbung für Rasenmäher machen möchte.»
Vom Sofa in die Rekrutenschule
Katrin Atkins hatte schon immer ein grosses Interesse an Weltpolitik, an Kriegs- und Konfliktforschung. Zu dieser Gemengelage kommt ein Zufall, eines Abends vor dem Fernseher: «Ich habe eine Dokumentation geschaut, wo eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft wurde. Faszinierend!»
Das ist 2007. Kurz darauf besucht Atkins einen Kurs an der Dresdner Sprengschule. «Dort hat es mir den Ärmel reingenommen».
Um professionelle Kampfmittelbeseitigerin zu werden, führt der Weg in der Schweiz über die Armee. Dafür muss Katrin Atkins in die Rekrutenschule (RS). Mit knapp 30 rückt sie ein. Dabei ist das Höchstalter für die RS 24. Aber Atkins ist zielstrebig. «Sogar aufsässig bis lästig, wenn ich etwas will.»
Alles andere als ein Nine-to-five-Job
Nach der RS folgt die Fachausbildung zur Kampfmittelbeseitigerin. Ihr erster Einsatz im Feld ist 2010 in Laos. Zusammen mit lokalen Teams säubert Atkins Felder von Streubomben, diese stammen noch vom Vietnamkrieg.
Der Einsatz dauert fast zwei Jahre. «Eine extrem spannende Zeit», so Atkins, aber es sei auch herausfordernd gewesen.
Sie ist wochenlang in abgelegenen Regionen unterwegs: «Keine Telefonverbindung, kein Strom, um 18 Uhr wird es dunkel. Und wenn man dann das letzte Buch auch noch gelesen hat, ist man nach der Arbeit einfach mit sich allein.»
Atkins legt sich Strategien gegen die Einsamkeit zurecht, taktet den Feierabend minutiös durch: «Eine halbe Stunde Kopfrechnen, eine halbe Stunde ein Gedicht zusammenstellen und so weiter.»
Katrin Atkins blüht auf, wenn es schwierig wird. «Geht es mir zu gut, werde ich bequem.» Sie betont aber, dass ihre Arbeit sehr erfüllend sei.
«Ich bin mit der ganzen Welt im Kontakt. Gerade hatte ich ein Online-Gespräch mit dem thailändischen Minenräumzentrum. Ich arbeite mit Spezialistinnen in Irak oder in Tadschikistan zusammen. Ein grosses Privileg.»
Sherlock Holmes auf dem Minenfeld
Die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern ist zentral. Ein grosser Teil der Minenräumarbeit ist, herauszufinden, wo es verminte Gebiete gibt. Eine Detektivarbeit.
Spezialisierte Teams führen Gespräche mit der Zivilbevölkerung, studieren Dokumente über den Konfliktverlauf, suchen mit Hunden, Ratten oder Metalldetektoren nach Hinweisen.
Unsere Arbeit ist viel weniger aufregend, als sich das viele vorstellen.
Dann folgt die Räumung. Manchmal mit Maschinen. Häufig ist es aber Handarbeit. Auf dem Boden liegend und in Schutzkleidung tasten sie sich vor. Zentimeter für Zentimeter.
Das ist der Moment, in dem die Minenräumungsteams direkt mit potenziell tödlichen Waffen in Kontakt sind. Ein Fehler kann fatal sein.
«Für jeden Schritt, den wir machen, gibt es haargenaue Regeln. Und darauf fokussieren wir uns. Unsere Arbeit ist viel weniger aufregend, als sich das viele vorstellen.»
Gefahr ist ein latenter Begleiter
Trotzdem kann es zu gefährlichen Situationen kommen: wenn ein Tier ins Minenfeld rennt. Oder wenn plötzlich – wie in Laos geschehen – ein Bauer ins Büro kommt und einen Sack voller Streumunition auf Katrin Atkins Bürotisch knallt.
«Im Moment des Aufpralls war die Gefahr bereits vorbei. Nichts ist explodiert.» Pures Glück. «Danach hatten wir alle Zeit der Welt, um die Streumunition herauszutragen und kontrolliert zu sprengen.»
Atkins bezeichnet sich als angstbefreit, solche Momente fahren ihr aber ein. Allerdings mit ein paar Tagen Verzögerung. «Dann kommt plötzlich der Schock, inklusiv weicher Knie und dem Kopfkino, dass das mein letzter Moment hätte sein können.»
Antipersonenminen oder nicht explodierte Streumunition sind perfide Waffen. Psychoterror für die Zivilbevölkerung und eine permanente Gefahr, noch Jahrzehnte nach dem Ende von Kriegen.
Minen legen ganze Landstriche lahm, Bauern können ihre Felder nicht bestellen, Schulen oder Spitäler können nicht in Betrieb genommen werden. Knapp die Hälfte aller Minenopfer sind Kinder. Minen töten, verletzen, verstümmeln.
Minen sind ein politischer Spielball
Vor 25 Jahren trat die sogenannte «Ottawa-Konvention» in Kraft. Ziel ist eine Welt ohne Antipersonenminen. Dazu gehört das Entminen verseuchter Gebiete und das Verbot, Minen herzustellen, zu lagern oder einzusetzen.
Tamar Gabelnick ist die Direktorin vom ICBL-CMC, der internationalen Kampagne gegen Antipersonenminen und Streumunition. «Die Ottawa-Konvention war ein Meilenstein. 80 Prozent aller Staaten haben den Vertrag unterzeichnet.»
Allerdings ist es eine Selbstverpflichtung. Sanktionsmöglichkeiten im Falle von Verstössen gibt es keine. «Trotzdem ist die Konvention wirksam», so Gabelnick. Das zeige sich deutlich in den Zahlen.
«Vor dem Inkrafttreten der Konvention setzte eine ganze Reihe von Ländern gezielt Antipersonenminen ein. Jährlich gab es 25'000 Tote und Verletzte. Heute sind es noch 4700 Tote oder Verletzte. 30 ehemals kontaminiert Ländern sind heute minenfrei.»
Aber es gibt auch Rückschritte: So haben 33 Länder das Abkommen nicht unterzeichnet. Darunter die USA, Israel, Iran oder Russland.
Russland setzt exzessiv Antipersonenminen in der Ukraine ein. Diese gilt in der Zwischenzeit als das am stärksten verminte Land der Welt. «Circa 30 Prozent der Ukraine sind vermint», so Gabelnick. Stark betroffen sind auch Syrien, Jemen, Kambodscha oder Afghanistan.
Nichts rechtfertigt den Einsatz dieser wahllosen Waffen.
Sorgen bereitet Tamar Gabelnick auch, dass einige osteuropäische Länder, die die Ottawa-Konvention unterschrieben haben, nun zweifeln.
«Aufgrund der Sicherheitslage im Osten spielen einige der Länder mit dem Gedanken, doch wieder Antipersonenminen an ihren Grenzen zu verlegen. Aber: Nichts rechtfertigt den Einsatz dieser wahllosen Waffen. Wir wissen ganz genau, wie schrecklich diese sind.»
Und so geht die politische Lobbyarbeit des ICBL-CMC mit Hochdruck weiter. «Wir sind ein Netzwerk von über 1200 NGOs in 90 Ländern. Und unser Ziel ist klar: eine Welt ohne Antipersonenminen und eine angemessene finanzielle Unterstützung von Opfern.»
Ein Job, der mehr als nur ein Job ist
Katrin Atkins arbeitet seit 15 Jahren als Kampfmittelbeseitigerin. Vor einigen Jahren hat sie ihre eigene Firma gegründet. Sie macht vor allem Projektmanagement, berät den Bund oder auch die UNO.
Sie ist noch immer viel unterwegs, aber nicht mehr so lange vor Ort. Das ist auch privatlebentauglicher. Seit einigen Jahren ist sie verheiratet. Zusammen mit ihrem Mann lebt sie in England. Er ist ein Berufskollege.
Und erst mit der Liebe hat Katrin Atkins auch die Angst kennengelernt. «Ich habe Angst um ihn, wenn er in England vor die Haustüre geht.»
Trotzdem ist für beide klar: Die Arbeit, die sie machen – und mit ihnen Tausende auf der Welt –, ist wichtig. Auch wenn sie einem einiges abverlangt.