Wenn es so etwas wie einen Oscar der Museumsbranche gibt, dann ist das der Europäische Museumspreis. 2020 ging er erstmals in den Kanton Aargau, an das Stapferhaus in Lenzburg. Es ist erst das vierte Schweizer Museum, das die Auszeichnung erhält. Wegen der Pandemie fand die Verleihung erst dieses Jahr statt.
Die Jury lobte das Museum für seine innovativen und kreativen Ausstellungen. Das Stapferhaus stelle ein Vorbild für andere Museen dar. Das schlägt sich auch in den Besucherzahlen nieder: Gut 100'000 Menschen wollten etwa die Ausstellung «Fake» sehen.
Dabei versteht sich das Stapferhaus gar nicht als klassisches Museum. Zum einen, weil es bis 2018 kein eigenes Haus hatte, sondern fremde Räume nutzte. Zum anderen, weil es, wie Museumsleiterin Sibylle Lichtensteiger erklärt, «nicht klassisch Objekte sammelt, sondern Geschichten.»
Fokus auf brennende Debatten
Verhandelt werden gegenwärtige gesellschaftspolitische Themen wie Heimat oder Geld. Das Publikum soll nicht einfach durch die Ausstellungsräume wandeln, sondern aktiv mitmachen.
In der aktuellen Ausstellung zum Thema Geschlecht kann man sich etwa die Fingernägel lackieren oder High Heels anprobieren und so mit Geschlechtsnormen spielen.
«Für uns steht die Aktualität im Zentrum, nicht die Vergangenheit», so Lichtensteiger. Die Besucherinnen und Besucher sollen angeregt werden, über brisante Gesellschaftsthemen ins Gespräch zu kommen. Dabei wolle das Stapferhaus für alle da sein, unabhängig vom Alter.
«Kein neutraler Ort»
Der Fokus auf aktuelle Debatten birgt allerdings auch Zündstoff, schliesslich positioniert sich das Stapferhaus damit politisch.
Lichtensteiger sieht darin grundsätzlich kein Problem: «Als Museum ist man kein neutraler Ort.» Hinter jeder Ausstellung würden Menschen stecken. Deren Haltung wolle man transparent machen.
Trotzdem könnten Museen auch in einen Zwiespalt geraten, wenn sie Position beziehen. Das zeige das Beispiel des Hygiene-Museums in Dresden. Dort wird bald die Stapferhaus-Ausstellung zum Thema «Fake» zu sehen sein.
Mit der Ausstellung wolle man dort zum Beispiel auch AfD-Wählerinnen und
-Wähler anlocken, sagt Lichtensteiger: «Aber wenn man sich für eine offene Gesellschaft und gegen Rassismus ausspricht, ist man schon Partei.» Und verliere damit zwangsläufig einen Teil des Publikums.
Auch Ängste ansprechen
Zentral sei deshalb, die eigene Haltung nicht in den Vordergrund zu stellen. In vielen Schulklassen, die die Ausstellung zum Thema Geschlecht besuchten, sei etwa Homophobie ein grosses Thema.
Es sei wichtig, diese Jugendlichen nicht vor die Tür zu stellen. Stattdessen wolle man mit ihnen ins Gespräch kommen und herausfinden, woher ihre Angst rührt.
Derzeit gebe es viel Polarisierung, so die Museumsleiterin. Deshalb sei es «wichtig, dass Museen Orte sind, an denen diese fragmentierte Gesellschaft zusammenkommt.»
Das Stapferhaus solle einen Raum bieten, «um gemeinsam über die Gegenwart nachzudenken.» Wenn man das tue, habe man die Zukunft automatisch im Blick, ist Lichtensteiger überzeugt.