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Explodierende Mietpreise Verdrängte Mieterin: «Dieses Ohnmachtsgefühl hallt nach»

Wird Wohnen in der Stadt bald unbezahlbar? Die Zürcherin Stella Bogoni wurde schon mehrfach aus ihrem Zuhause verdrängt. Inzwischen kann sie sich ihre Heimatstadt nicht mehr leisten.

Vor sieben Jahren stand plötzlich die Liegenschaftsverwaltung Livit bei Stella Bogoni vor der Tür. Die beiden Vertreter hätten eine gute und eine schlechte Nachricht für sie. Die schlechte Nachricht: Wohnungskündigung. Die gute Nachricht: Die Livit würde Stella Bogoni dabei helfen, eine neue Bleibe zu finden.

«Ich fange heute noch an zu weinen, wenn ich daran denke. Dieses Ohnmachtsgefühl hallt nach», erzählt Stella Bogoni. Damals rannte sie in ihr Zimmer und begann am ganzen Körper zu zittern. Diagnose: Nervenzusammenbruch. Die Wohnungskündigung traf sie in einem verletzlichem Moment.

Stella Bogoni blickt auf eine Pharaonenstatue
Legende: Als Kindergärtnerin hatte Stella Bogoni einen vergleichsweise bescheidenen Lohn. In einer Stadt wie Zürich kann das zum Verhängnis am Wohnungsmarkt werden. Stella Bogoni

Stella Bogoni arbeitete damals als Kindergärtnerin, inzwischen ist sie pensioniert. Sie wurde in Zürich geboren und ist auch dort aufgewachsen. Über 40 Jahre lebte sie im Seefeld. Ein Quartier, in dem die Mieten seit längerem nur eine Richtung kennen: steil nach oben.

Wenn Wohnen zur Zitterpartie wird

«Ich hatte immer einen bescheidenen Lohn und war auf günstige Wohnungen angewiesen», sagt die Zürcherin. Sie mietete jeweils kleine 1- oder 2-Zimmerwohnungen. Doch immer wieder passierte das Gleiche: Sie erhielt eine Kündigung.

Entweder wurde das Haus abgerissen oder die Wohnung kernsaniert. Vor der Jahrtausendwende war das für sie aber noch kein Problem. «Das war zwar mühsam, aber ich fand jeweils schnell wieder etwas Bezahlbares im Quartier.» 2003 heiratete Stella Bogoni und zog mit ihrem Mann in eine 3-Zimmerwohnung. Ihre «Traumwohnung», wie sie sagt.

Doch die Ehe scheiterte und die Wohnung wurde zur Zitterpartie. «Ich wollte sie halten. Also habe ich neben dem Kindergarten weitere Jöbli angenommen, um allein die Miete von 1580 Franken zahlen zu können», erklärt Bogoni.

Doppelte Miete nach Sanierung

Doch dann überbrachte ihr die Livit im Namen der Eigentümerin die Kündigung. Der Schweizer Rückversicherungskonzern Swiss Re wollte die Wohnung sanieren.

Ein Haus ist Eingrüstet, davor liegt Gerümpel auf der Strasse.
Legende: Baustelle in Zürich: In der grössten Stadt der Schweiz herrscht rege Bautätigkeit – viele alte Liegenschaften werden saniert. Oft zum Leidwesen der angestammten Mieterschaft. IMAGO / Geisser

Eine Rückkehr war für Stella Bogini unmöglich. Die Miete kostete nach der Sanierung mehr als das Doppelte.

Es ist ein bekannter Mechanismus: Sanierung oder Abriss und Ersatzneubau. Aus einer günstigen Wohnung mit geringem Ausbaustandard wird eine modernere, aber teurere Wohnung.

Zwischen Verdichtung und Luxussanierung

Die Swiss Life Versicherung ist einer der grössten Player auf dem Schweizer Immobilienmarkt. Sie besitzt rund 38'000 Wohnungen. «Wir haben unser Portfolio in den letzten 20 Jahren mehr als verdreifacht», erklärt Paolo Di Stefano, Leiter des Immobiliengeschäfts. «Wenn wir Wohnraum sanieren oder abreissen und neu bauen, verfolgen wir wichtige Ziele. Wir verdichten, schaffen also mehr Wohnraum und wir bauen CO₂-neutral.»

Wir haben eine Win-win-Situation.
Autor: Paolo Di Stefano Geschäftsleiter Immobilien, Swiss Life

Wenn solche Massnahmen mit einer Kündigung einhergehen, dann darf die Eigentümerin beim neuen Mietvertrag den Mietpreis neu festlegen. So wird aus ehemals günstigem Wohnraum teurer Wohnraum. Das sorgt auch immer wieder für Schlagzeilen. Stichwort: Luxussanierung. Danach kostet eine 3-Zimmerwohnung am Stauffacherquai 4390 Franken. Oder auch 6000 Franken. Beispiele gibt es viele.

Ein Mann in Anzug posiert vor einer Fensterfront
Legende: Die Swiss Life Versicherung zahlt mit den Mieteinnahmen ihrer Wohnungen die Investoren – also Rentnerinnen und Rentner. Renditen seien daher notwendig, so Paolo Di Stefano. Swiss Life Versicherung

Paolo Di Stefano betont aber, dass ein Drittel der Swiss-Life-Wohnungen preisgünstig seien. Zum Beispiel die Überbauung «Greencity» in Manegg. Die günstigste 4.5-Zimmerwohnung kostet 2360 Franken. Wer also über ein Haushaltseinkommen von rund 7000 Franken verfügt, kann sich das leisten. Die Faustregel lautet: Der Mietzins sollte maximal ein Drittel des Einkommens betragen.

Renditen für die Renten

Die Swiss Life ist kein gemeinnütziger Bauträger. Als Lebensversicherung hat sie eine Verpflichtung: Sie muss mit den Mieteinnahmen die Renten ihrer Versicherten bezahlen. «Wir handeln im Interesse der Investoren, also der Rentner und der Rentnerinnen, deren Gelder wir in Immobilien investieren», so Di Stefano.

«Unser Geschäft geht dann auf, wenn wir auch zufriedene Mieter haben. Wir generieren also eine Win-win-Situation», so Di Stefano. Will heissen: Die Swiss Life sichert die Renten und schafft Wohnraum.

«Das ist zynisch»

Dezidiert anders sieht das Beat Leuthardt vom Basler Mieterinnen- und Mieterverband. Es sei zynisch, von einer Win-win-Situation zu sprechen. «Bei solchen Sanierungen fliegen Bewohner und Bewohnerinnen raus. Und es zieht eine neue, reichere Mieterschaft ein.»

Es sei auch nicht aufrichtig zu sagen, die Swiss Life schaffe mehr Wohnraum. «Sie schafft massiv überteuerten Wohnraum.» Der Wohnungsmarkt sei ausser Rand und Band. Auch, weil überrissene Renditen erzielt würden: «Die Masslosigkeit und Gier der Investoren erstaunt mich immer noch.»

Ein sanierungsbedürftiger Altbau zwischen zwei Neubauten
Legende: Gefangen zwischen Sanierung, Umbau und Neubau: Das Zürcher Langstrassenquartier kämpft seit Jahren mit steigenden Mietpreisen – für viele Menschen im Arbeiterviertel eine Bedrohung. KEYSTONE/Christian Beutler

Zu hohe Renditen? Dazu schweigt die Swiss Life: «Unsere Renditeerwartung geben wir nicht an.» Paolo Di Stefano versichert aber, dass es sich nicht um spekulative Renditen handle: «Es ist nicht so, dass wir wie Spekulanten auf die Grundstücke losgehen, um Rendite zu maximieren.»

Der Mieterbund hält dagegen: «Kein Spekulant sieht sich selbst als Spekulant. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sechs Prozent Rendite in der Branche als zu wenig gelten», so Beat Leuthardt. Der Immobilienmarkt sei ausser Rand und Band.

Prekariat raus, Oberschicht rein

Klar ist: In Ballungsräumen steigen die Mieten seit Jahren. Das führt zu Verdrängung: vor allem von Menschen mit tiefen Löhnen.

Dazu forscht David Kaufmann, Assistenzprofessor für Raumentwicklung und Stadtpolitik an der ETH. Sein Team und er konnten die Verdrängung in der Stadt Zürich mit konkreten Zahlen belegen.

Ein Mann mit Hemd vor grauem Hintergrund
Legende: Nach einer Sanierung zieht meist ein kaufkräftigeres Publikum in die Wohnungen ein. Das kann David Kaufmann in Forschungsprojekten eindeutig aufzeigen. ETH Zürich

«Zwischen 2014 und 2019 wurden rund 13'000 Personen infolge einer Totalsanierung oder eines Abbruchs und Ersatzneubaus umgesiedelt.» Wer nach einer Sanierung in die Wohnung einzieht, habe monatlich rund 3660 Franken mehr Einkommen als die Vormietenden, erklärt Kaufmann.

Aus der Heimat verdrängt

So war es auch bei Stella Bogoni. Ihre Wohnung im Seefeld kostete nach der Sanierung mehr als das Doppelte. «Für mein Budget fand ich im Quartier nichts mehr», berichtet sie. «Ich bin dann nach Oerlikon gezogen.»

Nach dem Einzug merkte sie, dass in der Wohnung kaum etwas gemacht wird. Die Farbe blätterte ab, im Lavabo waren es Risse. Eigentümerin ist die Swiss Life. «Ich erkundigte mich, ob hier auch bald eine Sanierung anstehe? Man beruhigte mich, es sei nichts geplant.»

Gut drei Jahre später kam wieder mal eine Kündigung: Die Siedlung wurde abgerissen – Ersatzneubau.

Ein erzwungener Umzug ist ein tiefer Einschnitt.
Autor: David Kaufmann Assistenzprofessor für Raumentwicklung & Stadtpolitik an der ETH

Stella Bogoni stand damals kurz vor der Pensionierung, ihre Rente würde gering ausfallen. Zürich, egal welches Quartier, konnte sie sich nicht mehr leisten. «Es hat mir schier die Luft abgeschnürt. Zu merken: Ich rentiere für diese Stadt nicht mehr. Schon wieder muss ich meine Sachen packen.»

Stella Bogoni wurde verdrängt. «Ich hab’ meine Heimat verloren», sagte sie.

Wer darf wo wohnen?

Aber: Gibt es ein Recht darauf, mitten in Zürich zu wohnen? Wenn es nach reiner Marktlogik geht nicht. Wo die Nachfrage hoch ist, steigen die Mieten.

David Kaufmann, der Experte für Stadtpolitik, betont aber, dass Wohnen ein Grundbedürfnis sei. Vielleicht hat sich jemand über Jahrzehnte in einer Stadt ein Netzwerk aufgebaut, ist auf Betreuungsangebote angewiesen, hat schulpflichtige Kinder. «Ein erzwungener Umzug ist ein tiefer Einschnitt.»

Es ist eine politische Frage, wie viel Marktlogik auf dem Wohnungsmarkt erwünscht ist. «Viele Städte, auch Zürich, haben das Ziel der Durchmischung. Man will keine Segregation der Reichen: dass sich nur noch eine bestimmte Klientel die Städte leisten kann.»

Mieten steigen seit Jahren überdurchschnittlich

Seit 1989 sind die Mieten in der Schweiz im Durchschnitt um 85.4 Prozent gestiegen. Auf dem Land weniger, in den Ballungszentren mehr. Andere Konsumgüter sind im selben Zeitraum nur um rund 38 Prozent teurer geworden. «Das hat auch damit zu tun, dass Boden ein knappes Gut ist, das verschiedene Nutzungen tragen muss», so David Kaufmann.

Hinzu kommt: Die Bevölkerung wächst vor allem wegen der Zuwanderung. Zudem ist der Wohnflächenverbrauch pro Person gestiegen. In den Städten ist jede zweite Wohnung eine Single-Wohnung. Eltern bleiben nach dem Auszug der Kinder in ihren zu grossen Wohnungen und Häuser. Ein Umzug – und damit verbunden, eine höhere Miete – wäre im Zweifelsfall teurer.

Wer baut, bestimmt

Knappes Angebot, hohe Nachfrage: Für Paolo Di Stefano von Swiss Life ist das der Hauptgrund für steigende Mieten. Seine Lösung: Bauen, bauen, bauen und verdichten. «Bauen muss vereinfacht werden: schnellere Baubewilligung, höhere Hürden für Einsprachen», sagt er.  

Mehr Wohnungen zu bauen, sei zentral. Das sieht auch David Kaufmann von der ETH so. Allerdings senke das nicht automatisch die Mietpreise. Es komme darauf an, wer mehr baut. «Renditeorientierte Investoren versuchen mit ihrem Geschäftsmodell den maximalen Mietpreis zu erzielen. So entsteht kaum günstiger Wohnraum», erklärt er. Anders sei das, wenn gemeinnützige Bauträger bauen, zum Beispiel Genossenschaften oder die öffentliche Hand.

So ist der Schweizer Wohnungsmarkt aufgeteilt

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Institutionelle Vermieter wie Pensionskassen, Banken und Versicherungen kontrollieren rund 41 Prozent des gesamten Schweizer Wohnungsmarktes. Vor 20 Jahren waren es knapp 30 Prozent.

Die Bedeutung privater Eigentümer, also von Herr und Frau Müller, hat dagegen abgenommen. Hatten diese im Jahr 2000 noch einen Marktanteil von 57 Prozent, so sind es rund 20 Jahre später nur noch 47 Prozent.

Genossenschaften und die öffentliche Hand verharren nahezu unverändert bei zwölf Prozent Marktanteil.

Quelle: Bundesamt für Statistik

Ausweg: Wegzug

Heute wohnt Stella Bogoni in Bad Zurzach im Aargau. Günstig ist es auch dort nicht, aber sie kann sich ihre Wohnung für 1450 Franken gerade noch leisten. «Es ist ruhig und familiär hier, das schätze ich.» Aber Zürich fehle ihr.

Stella Bogoni steht vor einem Haus.
Legende: Noch immer etwas wehmütig: Stella Bogoni fühlt sich wohl in Bad Zurzach, denkt jedoch oft an ihre Heimat Zürich zurück. Stella Bogoni

«Von der Streetparade bis zum Theater – ich liebte es, mittendrin zu sein. Aber das kann ich mir nicht mehr leisten. Mir krampft mein Herz noch immer ein bisschen. Es ist halt mein Züri, meine Stadt.»

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Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 14.07.2023, 06:05 Uhr

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