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Wohnungsknappheit «Im sozialen Sinne ist das eine Katastrophe»

Bis im Jahr 2026 sollen laut Berechnungen 51'000 Wohnungen fehlen. Im «Club» diskutierten Betroffene und Experten über mögliche Lösungen.

Die Wohnungssuche ist für Betroffene zurzeit ein schwieriges und langes Unterfangen. So auch für den pensionierten Architekten Bruno Müller-Hiestand. Er und seine Frau müssen nach 52 Jahren ihre Wohnung in Zürich-Witikon verlassen.

Eine bezahlbare Wohnung im Quartier zu finden, sei hart. «Viele haben panikartige Zustände, trotz der langen Frist, bis wir im März 2024 rausmüssen, nichts zu finden. Darum gehen sie weg. Und zwar dorthin, wo sich die erstbeste Gelegenheit bietet, wie etwa Glattbrugg oder Volketswil – wo man niemanden kennt. Ein Gefüge, das sehr miteinander verbunden war und in dem man aufeinander angewiesen war, bricht so auseinander.»

Unser Problem sind nicht die Preise, sondern der Umstand, dass wir keine Mietwohnungen mehr haben.
Autor: Yvonne Altmann Gemeindepräsidentin von Arosa

Für den Architekten Vittorio Lampugnani ist diese Geschichte traurig. Jedoch nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für die Stadt: «Wenn die Menschen weggehen, die sich für ein Quartier verantwortlich fühlen, dort ihre Heimat haben und das Quartier auch pflegen, verliert die Stadt einen Grossteil ihrer Qualität.»

Nicht nur ein Phänomen der Städte

Doch einen Wohnungsengpass gibt es nicht nur in den städtischen Regionen, sondern auch in den Bergregionen. Dort ist das Problem aber anders gelagert: «Momentan haben wir zwei Wohnungen auf dem Markt», sagt Yvonne Altmann, Gemeindepräsidentin von Arosa. «Unser Problem sind nicht die Preise, sondern der Umstand, dass wir keine Mietwohnungen mehr haben.»

Die Problematik habe sich durch die Umsetzung des neuen Raumplanungsgesetzes und die Annahme der Zweitwohnungsinitiative im Jahr 2012 zugespitzt. «Das Problem ist, dass die altrechtlichen Wohnungen verkauft werden und Zweitwohnungen daraus gemacht werden können. Die Wohnungen, in denen einheimische Mieter waren, stehen dann nicht mehr zur Verfügung.» Das würde für eine Tourismusregion, wie Arosa weitere Herausforderungen mit sich bringen.

Die Zweitwohnungsinitiative

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Die Vorlage wurde 2012 mit 50.63 Prozent angenommen. Sie verbietet Gemeinden, in denen Zweitwohnungen bereits einen Anteil von mindestens 20 Prozent ausmachen, neue Zweitwohnungen zu bauen. Alle Wohnungen, die bereits vor 2012 existierten (also vor Annahme der Initiative), gelten als «altrechtlich» und fallen damit nicht unter die neuen Auflagen. Das bedeutet, dass diese Häuser weiterhin als Ferienwohnungen vermietet oder verkauft werden können.

Es sei inzwischen nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer schwierig, alle Leute unterzubringen. «Ohne bezahlbare, gute Wohnungen werden wir keine Fachkräfte finden und dann kommt die nächste Herausforderung. Wenn wir keine guten Mitarbeiter haben, können wir die Dienstleistungen für unsere Gäste nicht erbringen.»

Lockerungen bei den Vorschriften

Eine mögliche Lösung sieht sie in der Lockerung des Zweitwohnungsgesetzes und des Raumplanungsgesetzes. So könnte mehr gebaut werden und es würde mehr Wohnraum entstehen. Hans Egloff, Präsident des Hauseigentümerverbandes, ergänzt: «Man muss die Rahmenbedingungen so ausgestalten, dass das Bauen einfacher möglich ist. Die Baubewilligungsverfahren müssen vereinfacht und beschleunigt werden.»

Dem widerspricht Architekt Lampugnani: «Pro Sekunde wird auf der Welt ein Quadratmeter zugebaut. Wir müssen unbedingt weniger bauen». Man solle erst die bestehenden Wohnflächen, die zu Büros umgewandelt wurden, wieder als Wohnflächen nutzen.

Es müssen die richtigen Eigentümer aus den richtigen Gründen, für die richtigen Menschen bauen, dann haben wir 1'000 Probleme weniger.
Autor: Jacqueline Badran Nationalrätin (SP/ZH)

Immobilien-Experte Donato Scognamiglio plädiert für den Dialog mit allen Beteiligten. Und für SP-Nationalrätin Jacqueline Badran ist klar: «Es müssen die richtigen Eigentümer aus den richtigen Gründen, für die richtigen Menschen bauen, dann haben wir 1'000 Probleme weniger.»

Zurück nach Witikon: Wo in der Siedlung von Bruno Müller-Hiestand über 200 Menschen ihr Zuhause verlieren: «Zum Teil sind die Betroffenen nicht mehr so agil und wissen sich kaum zu helfen», sagt der pensionierte Architekt. Und tapfer fügt er an: «Aufgeben ist keine Option».

Die Gäste im «Club»

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Runde mit teilnehmenden Gästen im «Club»-Studio in der Totalen
Legende: SRF

Der Wohnraum wird knapp in der Schweiz – in der Stadt und auf dem Land. Bis 2026 sollen rund 51'000 Wohnungen fehlen. Die Bevölkerung wächst, es wird weniger gebaut und die Mieten steigen. Wer treibt die Preise? Wer kann sich wohnen noch leisten? Und was wären mögliche Lösungen?

Mit Barbara Lüthi diskutierten:

– Jacqueline Badran, Nationalrätin SP/ZH und Vizepräsidentin SP;

– Yvonne Altmann, Gemeindepräsidentin Arosa;

– Hans Egloff, Präsident Hauseigentümerverband Schweiz (HEV);

– Bruno Müller Hiestand, Pensionierter Architekt;

– Vittorio Lampugnani, Architekt und em. Professor für Geschichte des Städtebaus;

– Donato Scognamiglio, Geschäftsführer Immobilienberatungsfirma Iazi

Club, 14.3.23, 22:20 Uhr

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