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Ferraris, Fäuste, Frauenhass Extreme Männlichkeit: Gefahr für junge Männer

Politiker und Influencer zelebrieren ihre «Männlichkeit» in Extremen. Was löst dies bei heranwachsenden Männern aus?

Netzwerke, die eine toxische Männlichkeit propagieren, sind in Europa auf dem Vormarsch. Kürzlich reichte Nationalrat Christophe Clivaz (Grüne) eine Motion ein, die den Bundesrat auffordert, das Ausmass des Phänomens in der Schweiz zu erfassen.

Der Männerpsychologe und Autor Markus Theunert ist involviert in diese Erhebungen und sagt, wir hätten einen totalen Blindflug, was die Verbreitung von solchen gewaltlegitimierenden Inhalten angehe. Es fehle in der Schweiz momentan an empirischen Daten.

Wir laufen Gefahr, die jungen Männer grossflächig zu verlieren.
Autor: Markus Theunert Männerpsychologe und Autor

Ausgehend von umliegenden Ländern geht Theunert allerdings von circa 40 Prozent der jungen Männer aus, die «männlichkeitsideologisch radikalisiert» seien. Damit meint er nicht nur solche, die ein sehr konservatives und traditionelles Männerbild vertreten, sondern auch eines, das in Frauenhass und Gewalt münden kann.

Auch wenn dies erst eine Schätzung und deshalb mit Vorsicht zu geniessen ist, ist für Theunert offenkundig: Netzwerke, die Frauenhass, toxische Männlichkeit und Gewalt propagieren, sind keine Nische. Hier zeichne sich eine grössere gesellschaftliche Veränderung ab. «Wir laufen Gefahr, die jungen Männer grossflächig zu verlieren», so Theunert.

Trend bei Frauen weniger stark

Ähnliche Veränderungen seien zwar auch bei Frauen zu beobachten, allerdings in viel geringerer Zahl. Theunert spricht von schätzungsweise 20 Prozent sehr traditionell eingestellter Frauen, die diesen 40 Prozent Männern gegenüberstünden.

Was treibt junge Männer in solch extreme Milieus? Und warum scheint gerade ein Teil der männlichen Jugendlichen empfänglich für rückwärtsgewandte Ideologien?

Gleichgestellt – aus Männersicht

Ein Blick in den Gleichstellungsbarometer 2024 zeigt: Junge Männer schätzen den Stand der Gleichstellung deutlich optimistischer ein als Frauen gleichen Alters. Während Letztere weiterhin auf strukturelle Hürden in Beruf, Familie und Gesellschaft verweisen, sehen viele Männer Gleichstellung als erreicht, ja sogar überzogen an. Eine Diskrepanz mit Sprengstoff.

Mit dieser Wahrnehmung, die Gleichstellung sei bereits erfüllt, gehe oft ein Gefühl der Marginalisierung einher, so der Journalist und Autor Tobias Haberl. Er befürchtet, dass der gegenwärtige Feminismus vielleicht «zu weit gegangen» sei. Zumal sich viele Männer inzwischen nicht bloss kritisiert, sondern regelrecht diffamiert fühlten. Dieser Eindruck würde verstärkt durch polarisierende Debatten, Shitstorms und pauschalen Schlagworten, die aus Graustufen Schwarz-Weiss machen.

Schweben in der «Mannosphäre»

Ist also die kritische Diskussion über Männlichkeit und das Patriarchat zu weit gegangen und schlägt das Pendel nun zurück? Der Männerpsychologe Markus Theunert verwirft dieses Argument: Eine solche Dominanz sei nicht zu erkennen, weltweit sei in keiner Gesellschaft das kulturelle Leitbild von Männlichkeit auf die andere Seite gekippt.

In dieser Gemengelage floriert die sogenannte «Mannosphäre» – eine lose, aber weit verzweigte Onlineszene aus Foren, Podcasts, Influencern und Selbstoptimierungs-Coaches, die ein ultratraditionelles, oft frauenfeindliches Männlichkeitsbild predigen.

Alpha-Mann Andrew Tate

Zu den wohl bekanntesten Akteuren dieser Szene gehört der ehemalige Profi-Kickboxer Andrew Tate: ein selbsternannter «Alpha Male», der mit teuren Autos, Frauenverachtung und derber Rhetorik Millionen junge Männer erreicht.

Mann in Ferrari
Legende: Frauenfeind im Ferrari: Andrew Tate steht auf Statussymbole und Misogynie. Die rumänische Staatsanwaltschaft hat den Influencer wegen Menschenhandels und Vergewaltigung angeklagt. Keystone/AP Photo/Vadim Ghirda

Er inszeniert sich als Alternative zu einem System, das Männer angeblich klein halten wolle. Sein Versprechen: Kontrolle und Dominanz zurückgewinnen und damit erfolgreich werden. Alles, was jungen Männern fehlt, die sich orientierungslos, ohnmächtig oder abgehängt fühlen.

Tate wurde mehrfach verhaftet, unter anderem wegen Menschenhandels und Vergewaltigung. Und doch – vielleicht auch deswegen – ist sein Einfluss enorm.

Wütende Politiker

Die Mannosphäre sei ein Symptom einer tieferliegenden Identitätskrise, so Theunert. Eine Krise, die sich auch politisch zeigt. Weltweit wächst der Einfluss von autoritären, machistischen Führungsfiguren. Männer wie Donald Trump, Javier Milei, Wladimir Putin oder Elon Musk inszenieren gezielt «Virilität» und wollen damit Stärke und Härte beweisen.

Die Schweizer Nationalratspräsidentin Maja Riniker (FDP) nannte die aktuelle Weltpolitik in der kürzlich abgehaltenen Frauensession im Bundeshaus «Tesla-, Testosteron- und Dollar»-getrieben.

Was bei vielen Frauen auf Ablehnung stösst, trifft bei einigen jungen Männern allem Anschein nach auf Resonanz. Auch hier wird der Graben sichtbar: Frauen rücken eher nach links und wählen zunehmend progressiv, Männer rücken eher nach rechts. Ein Trend, der nicht nur in der Schweiz zu beobachten ist.

Der politische Gender-Gap sei Ausdruck eines kulturellen und emotionalen Konflikts. Und eines tiefen Missverständnisses: Diese Männer glauben, der Feminismus habe ihnen etwas weggenommen. In Wahrheit, so Theunert, sei es ihr eigenes Verhalten – das Festhalten an überholten Rollenbildern –, das sie von Anerkennung und Nähe entfremde.

Mannsein neu denken

Was also tun? Die Antwort liegt nicht in der moralischen Anklage, sondern im Angebot. In neuen Erzählungen darüber, was Mann heute sein kann. Nicht schwach, nicht weich – sondern vollständig Mensch, so Haberl.

Wenn Männer endlich wüssten, dass die Orientierung und Verinnerlichung von traditionellen Männlichkeitsnormen dazu führten, dass man früher, einsamer und bitterer stirbt, dann sollte nicht zuletzt dies ein guter Anreiz dafür sein, sich mit neuen Rollenbildern zu beschäftigen.

Gelungene Männlichkeit sei kein Rückgriff auf alte Muster und Imperative, sondern ein Entwurf für die Zukunft: verbindlich, verantwortungsvoll und verletzlich, erklärt der Psychologe Theunert. Nur so lasse sich der alarmierende Trend umkehren.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 4.5.2025, 11 Uhr.

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