«Eines Morgens, als ich spazieren ging, las ich in einer Zeitung, dass es Leute gibt, die einem ein Visum verschaffen können, um ins Ausland zu reisen. Ich war an der Universität und studierte für meinen Bachelor in Veterinärmedizin. Ich musste ein Praktikum machen, und ich dachte, das sei eine Chance – es sei gut für mich zu sehen, wie es woanders ist.
Ich telefonierte mit den Leuten und fragte, ob es eine Möglichkeit gibt, mir ein Visum für ein Auslands-Praktikum zu organisieren. Sie sagten, wir können dir ein Praktikum verschaffen, aber nur in Island. Und es kostet etwas.
Ich konnte den Betrag zahlen, es waren umgerechnet etwa 600 Franken. Sie organisierten alles. Ich ging nach Nairobi, sie gaben mir alle Unterlagen, und ich bekam dort mein Visum für Island.
Sie begleiteten mich zum Flughafen und wünschten mir alles Gute. Sie vermittelten mich einem Mann namens Wahab, der mir helfen würde, wenn ich in Island bin. Und auch unterwegs auf der Reise, denn ich musste in Dubai und in Genf umsteigen.
Als ich in Genf ankam, bekam ich eine Whats-App-Nachricht, und Wahab schrieb, es tut uns leid, doch das Geld, dass du bezahlt hast, reicht nicht für die Kosten für den Flug und die Organisation. Du wirst in Island kein Praktikum machen, sondern Prostitution.
Wenn du es nicht tust, werden wir dir schaden.
Ich war völlig schockiert – ich hatte erwartet, dass ich studieren und dann wieder nach Hause gehen würde. Doch sie sagten, was hast du denn erwartet, weshalb sollten wir für dich Geld ausgeben, wir sind nicht deine Verwandten. Du musst unser Geld zurückzahlen. Wenn du es nicht tust, werden wir dir schaden. Wenn du nicht hierher kommst, werden wir deiner Familie etwas antun.
Ich konnte die Reise nicht fortsetzen. Ich hatte Angst, und ich musste sehr schnell etwas tun. Ich schaute im Internet, ob ich vielleicht in der Schweiz Leute aus Uganda finde, die mir helfen können.
Ich fand einen afrikanischen Treffpunkt in Zürich und traf dort einen Mann aus Uganda. Ich erzählte ihm, was passiert war, und er riet mir, ein Asylgesuch zu stellen. Bis dahin konnte ich ein paar Tage bei ihm übernachten.
Während dieser Zeit traf ich meinen heutigen Mann und wir verliebten uns. Dann ging ich ins Empfangszentrum in Basel und stellte ein Asylgesuch. Ich erzählte alles, doch sie sagten, es gilt das Dublin-Abkommen, ich müsse wegen meines Visums nach Island. Doch ich wusste, was mich dort erwartet, also ging ich zu meinem Freund.
Sie sperrten mich für zwei Wochen ins Gefängnis; ich war im siebten Monat schwanger.
Ich lebte bei meinem Freund, und in dieser Zeit wurde ich schwanger. Doch eines Tages kam die Polizei zu uns nach Hause und nahm mich fest. Sie sperrten mich für zwei Wochen ins Gefängnis; ich war im siebten Monat schwanger.
Sie kamen frühmorgens, es war wie in einem Traum. Ich schlief im Gefängnis, plötzlich waren da fünf Männer oder mehr. Sie riefen: Wachen Sie auf Madam! Mein Atem ging sehr schnell, sie zogen mich an, sie fesselten meine Hände eng unter meinem Bauch und auch meine Beine. Ich konnte mich nicht bewegen.
Sie zogen mich an, sie fesselten meine Hände eng unter meinem Bauch und auch meine Beine.
Sie trugen mich in ein Auto, aus dem man nicht hinausschauen kann, ich musste erbrechen – das ist keine gute Situation, wenn man schwanger ist, dann ist man sehr empfindlich. Irgendwann merkte ich, dass wir auf einem Flughafen sind. Ich dachte, was für einen Flughafen? Sie trugen mich ins Flugzeug.
Ich glaube, sie organisierten einen privaten Flug nur für mich – nur ich und die Männer, die mich an diesem Morgen geholt hatten, sassen darin. Es war so schockierend. Wenn ich mich jetzt daran erinnere, tut das wirklich weh. Es war ein verletzender Moment. Es war furchtbar.
Ich war so frustriert und schockiert und voller Angst.
In Island brachten sie mich zum Asylzentrum, weil ich niemanden kannte. Alles war seltsam, ich war allein und schwanger, ohne meinen Freund.
Also ging ich zu einem afrikanischen Treffpunkt in Reykjavik, um Leute zu treffen und mich ein bisschen zuhause zu fühlen. Und dort traf ich ausgerechnet den Typen, der mich in Empfang nehmen sollte, um mich der Prostitution zuzuführen. Ich hatte damals sein Foto bekommen. Er hiess Dennis.
Ich war so frustriert und schockiert und voller Angst. Ich rannte davon, es hatte viel Schnee, ich fiel hin und verletzte mich, ich habe noch Narben davon. Ich stand unter Schock.
Ich wusste, was die mit mir machen würden. Sie setzten mich bereits unter Druck, weil ich die gleiche Telefonnummer hatte wie in Afrika. Sie schrieben mir im Internet, auf Facebook. Drohten: ‹Wenn du nicht tust, was du tun sollst. Sei bloss vorsichtig, wir gehen zu deinen Eltern und tun ihnen was.›
Ich will, dass diese Leute gefasst werden, ich ertrage es nicht – es ist zu viel.
Ich kontaktierte meinen Freund und bat ihn, mich da rauszuholen. Ich hatte auch Angst, dass mit der Schwangerschaft etwas nicht stimmt, dass das Kind nicht überleben würde. Er sagte, gut, ich organisiere etwas Offizielles. Ich komme und heirate dich. Und so heirateten wir in Island und kamen in die Schweiz zurück.
Der Grund, weshalb ich dies alles erzähle, ist: Ich will, dass diese Leute gefasst werden, ich ertrage es nicht – es ist zu viel.»
Aufgezeichnet von Irene Grüter