Jeanne schaut auf ihren runden Bauch und lacht. Die 38-Jährige ist im fünften Monat schwanger. Es hat geklappt. Einfach so. Spontan. Einmal mehr kam alles anders als geplant.
Rückblende: Es ist Sommer 2020, Corona-Sommer. Jeanne ist Single, ein potenzieller Vater nicht in Sicht. Nach vielen Gesprächen und langen Überlegungen entscheidet sie sich zu Social Freezing. Einfach fiel ihr dieser Schritt nicht. «Ich musste vieles erst verdauen. Erst dann kam ich zum Schluss: So kann ich meine Chancen vergrössern, eines Tages doch noch Kinder zu haben.»
Die Uhr tickt
Social Freezing – oder Social Egg Freezing, wie es auch genannt wird – bedeutet: Jeanne lässt sich unbefruchtete Eizellen entnehmen und einfrieren. So kann sie diese während der nächsten zehn Jahre bei Bedarf auftauen und künstlich befruchten lassen. Dies für den Fall, dass eine spontane Schwangerschaft nicht glückt.
Sie habe immer das Bild im Kopf gehabt, dass sie irgendwann einen festen Partner finden und mit diesem Kinder haben würde, sagt Jeanne. Sie habe sich aber eingestehen müssen, dass manchmal alles anders komme als geplant. Dass sich dieser «Wunsch» nicht erfüllen würde oder eben noch nicht. Ihre biologische Uhr aber ticke.
Immer noch Tabuthema
Jeanne ging von Anfang an bewusst sehr offen mit ihrer Entscheidung um und wollte das Thema enttabuisieren. «Es fühlte sich an, als müsste ich öffentlich bekennen, keine andere Option zu haben. Wenn du mit 35 Single bist, dann gibt es doch ein Problem mit dir», sagt Jeanne. Sie habe sich viele solche Kommentare und Fragen anhören müssen.
Es sei ihr bewusst geworden, wie viel Unwissen da ist und dass die Leute diesen Schritt nicht verstehen würden. «Man unterstellte mir ständig, ich wolle allein ein Kind machen oder gab mir Ratschläge, wie ich jemanden kennenlernen könne.» Es sei sehr ermüdend gewesen.
Emotionale Achterbahnfahrt
Obwohl sich Jeanne bestens informiert hatte, war sie überrascht, wie aufwändig und fordernd der ganze Prozess war. Da waren zum einen die organisatorischen Aspekte. Es brauchte zahlreiche Arztbesuche. Tests mussten gemacht und Formulare ausgefüllt werden.
Da waren aber auch die praktischen Fragen: Wie setze ich mir selbst eine Spritze? Wo lagere ich die Medikamente?
Zum anderen war es für Jeanne auch eine emotionale Achterbahnfahrt. Mal platze sie fast vor Freude über den Mut, diesen Schritt gemacht und sich damit auch selbst ernst genommen zu haben. Mal erfüllte sie Angst vor allem Unbekannten, das auf sie zukommen würde. Sorge, ob überhaupt eine Entnahme möglich sein würde.
Dann wieder war sie unglaublich stolz, die ersten Hürden allein geschafft zu haben. Um im nächsten Moment traurig zu sein, diesen ersten Schritt in Richtung Kinderwunsch ohne einen Partner an der Seite gehen zu müssen.
Am zweiten Tag der hormonellen Vorbereitungsphase schrieb Jeanne in ihr Tagebuch: «Ich hatte heute eine Heulkrise, nachdem mir eine Bekannte gesagt hatte, ich sei ein Vorbild für andere Frauen. Ich bin traurig, weil ich nie ein Vorbild sein wollte. Es war meine Wahl, klar, aber keine, die ich effektiv machen wollte. Viele Gefühle, weil es mutig ist, aber eben auch schwierig zugleich.»
Ein Prozess, vier Phasen
Social Freezing ist ein Prozess in vier Etappen. Zunächst wird eine Frau auf ihre Fruchtbarkeit untersucht. Nur wenn die Qualität und Menge der Eizellen stimmt, ist eine Entnahme sinnvoll. Für viele Frauen ist das ein stressiger Moment, da hier auf einen Schlag der Traum vom eigenen, leiblichen Kind platzen kann.
Ist dieser Teil erfolgreich abgeschlossen, geht es an die sogenannte «Vorbereitungsphase». Eine Frau muss während mehreren Wochen Medikamente schlucken, um den Körper hormonell optimal auf die Entnahme vorzubereiten.
Zeigt ein Bluttest, dass die Startbedingungen günstig sind, kommt es zur «Stimulationsphase». Das ist die Phase, in welchen die Frauen sich während zehn Tagen Medikamente spritzen müssen. Ziel ist es, dass der Körper so stimuliert wird, dass er mehrere Eizellen heranreifen lässt.
Ich war so glücklich. Eine ganze Eierschachtel voll.
Ist auch dies gemeistert, kommt es zur Punktion. Unter Vollnarkose werden bei einer ambulanten Operation die Eizellen entnommen und sofort in flüssigem Stickstoff auf minus 196 Grad Celsius tiefgekühlt.
Ein Eierkarton voll
«I DID IT!!!!» schreibt Jeanne an diesem Tag in ihr Tagebuch. Sechs Eizellen konnten bei ihr entnommen und tiefgekühlt werden: «Ich war so glücklich. Eine ganze Eierschachtel voll.»
Dann die Ernüchterung. Um eine bestmögliche Ausgangslage zu haben, müsse sie 20 bis 30 Eizellen einfrieren lassen, erklärte ihr die Ärztin. Das wusste Jeanne zwar, doch in diesem Moment war eine Wiederholung des Prozedere schwer vorstellbar.
Zwischen 3000 und 5000 Franken kostet eine solche Behandlung – je nachdem, wie viele Medikamente eine Frau einnehmen muss. «Sechs sind besser als keine», sagte sich Jeanne und liess es für den Moment dabei bewenden.
Sie würde es wieder tun
Zum Glück kommt manchmal alles anders, als man denkt. Kurze Zeit später lernte Jeanne einen Mann kennen, der bald ihr Partner wurde und von dem sie jetzt ihr erstes Kind erwartet.
War also alles für die Katz? Nein, betont Jeanne. Sie würde es wieder tun. Es habe für sie etwas Selbstbestimmtes gehabt: «Ich habe das nur für mich gemacht, und das war enorm wichtig. Ich habe mich und meinen Körper so viel besser kennengelernt und bin nun auch besser auf das vorbereitet, was mich in der Schwangerschaft erwartet.»
Luxus ohne Garantie
Aber klar, letztlich sei es auch ein Luxus gewesen – vor allem einer ohne Garantie. Denn bereits beim Auftauen kann es passieren, dass Eizellen unbrauchbar werden. Dazu kommt die Herausforderung der künstlichen Befruchtung.
Eizellen einfrieren zu lassen, ist somit noch lange keine Garantie für ein Kind. Dessen war sich Jeanne immer bewusst. Sie findet es aber wichtig, dass diese Tatsache jeder Frau klar ist, die diesen Schritt machen möchte.
Sie bereue ihren Entscheid überhaupt nicht und wolle die sechs Eier auch vorläufig behalten. Man wisse ja nie, was das Leben noch für einen bereithalte.