Spurlos geht Corona an niemandem vorbei. Die Pandemie, die seit diesem Frühling unser Leben bestimmt, hat nicht nur unseren Alltag, sondern auch unsere Beziehungen auf den Kopf gestellt.
Die Massnahmen schränken die jüngeren Generationen dabei besonders ein: Sie können nicht mehr im Ausgang abschalten, dürfen nur noch wenige Freunde treffen und mussten Reisepläne sowie Auslandssemester absagen. Auch Dating ist für die Tinder-Generation nicht mehr dasselbe: Das spontane Treffen mit Fremden gilt heute als Risiko.
Zwischen Frust und Verantwortung
Wie fühlt sich das Dilemma zwischen sozialer Verantwortung und eingeschränkter Freiheit an? Ein Augenschein zeigt: Die Anpassungsfähigkeit der jüngeren Generationen ist in diesen Monaten ihr grösster Trumpf: Sie meistern die Krise mit guter, digitaler Vernetzung und nutzen sie kreativ.
Menschen unter 30 tragen zudem in den meisten Fällen noch weniger Verantwortung: Sie müssen tendenziell noch keine Familie ernähren oder Angestellte in die Kurzarbeit schicken. Dies macht vor allem die ökonomischen Konsequenzen der Pandemie tragbar. Zudem konnten sie schon vor der Pandemie mit finanzieller Unsicherheit umgehen.
Und dennoch: Corona sitzt einem im Nacken. Die psychischen Herausforderungen der sozialen Isolation und allgemeinen Unsicherheit sind nicht wegzureden. Dies zeigen drei Beispiele.
Silvan Moos: «Kapitalismus ist nicht tragbar»
Leute wie Silvan Moos (21) sehen auch die Vorteile von Corona. Beispielsweise, dass immer mehr Menschen unser System hinterfragen. «Ich sehe schon nur in der Massentierhaltung ein grosses Problem. Auch die Schweinegrippe oder SARS kam von Tieren. Und Covid-19 wäre nie passiert, wenn wir alle vegan leben würden», sagt der Saftpresser aus Luzern.
Schwierig sei für ihn der Umgang mit Leuten, die für Verschwörungstheorien anfällig seien. «Aber die meinen das ja nicht böse. Die wollen uns nur warnen. Und es ist wichtig, dass man sie ernst nimmt.»
Die Menschlichkeit nicht vergessen
Der Mensch steht für Moos im Zentrum: «Ich umarme die Leute noch immer. Mir ist wichtig, dass man mit Liebe auf die Menschen zugehen kann.» Während des Lockdowns wurde er kreativ: Mit Freunden entdeckte er Vitaparcours; zu Hause hat er angefangen zu zeichnen.
Berd Schlüchter: «Ich habe meine Grossmutter verloren»
Berd Schlüchter (28) ging dieses Jahr an die Substanz. «Ich hab’ meinen Job in der Eventbranche verloren, meine geliebte Grossmutter ist kürzlich an den Folgen einer Covid-Erkrankung verstorben und in meinem Umfeld sind immer mehr in Quarantäne.»
Die Corona-Müdigkeit belastet den Barkeeper. «Ich bin rastlos in meinen Emotionen. Auf der einen Seite habe ich es satt. Satt – überhaupt rauszugehen, ja, gar einkaufen zu gehen. Auf der anderen Seite ist aber in mir auch viel Trauer und Frust vorzufinden.»
Die allgegenwärtige Gefahr
«Ich verstehe nicht, dass sich die Leute noch immer nicht an die Massnahmen halten und sich trotzdem unter die Leute mischen.» Auch er würde sich mal wieder einen richtigen Ausgang wünschen.
Momentan bleibt dieser Wunsch unerfüllt: «Man geht in eine Bar etwas trinken oder hat ein Date, aber wirklich Freude kommt nicht auf. Keine Bewegung kann mehr gemacht werden, ohne dass Corona einem ein Warnschild ins Gesicht klatscht.»
Beerdigung 2.0
91 Jahre alt wurde seine Grossmutter. Von der Erkrankung bis zum Tod verging eine Woche. Richtig verabschieden konnte sich Schlüchter nicht. Der indonesische Teil seiner Verwandtschaft musste die Beerdigung via Facebook-Livestream mitverfolgen.
Für Schlüchter gibt es momentan nur eine logische Lösung: Einen Lockdown. «Auf der anderen Seite muss das finanziell getragen werden. Ein Clubsterben kennt man bereits aus einigen Kantonen. Wo führt das hin?»
Filippa Frick: «Ich verstehe, dass Leute mich für egoistisch halten»
Eine, die sich den Ausgang nicht nehmen lässt, ist Filippa Frick. Die 24-Jährige ist Physiotherapeutin und steht darum in engem Kontakt mit Menschen. Dennoch besucht sie ab und zu Privatpartys mit mehr als zehn Gästen.
Dass sie damit gegen die Anweisungen des Bundesrats verstösst, ist ihr bewusst. «Ich verstehe, dass Leute mich für egoistisch halten und mein Verhalten fahrlässig finden», so die Zürcherin.
Berührungen gegen die Einsamkeit
Für sie sei es aber wichtig, soziale Kontakte zu pflegen: «Wenn das nicht möglich ist, schlägt es mir auf die Psyche.» Das sieht sie auch bei ihren älteren Patienten. «Deren einziger Körperkontakt ist oftmals nur noch die Physiotherapie. Fällt das weg, fühlen sie sich einsam und verlassen.»
Es sind derzeit jedoch gerade die Alten, die aus Selbstschutz auf körperliche Nähe verzichten müssen. «Doch körperlicher und sozialer Kontakt wären für das Immunsystem so wichtig.»
Wenn Verantwortung an ihre Grenzen stösst
Die psychischen Auswirkungen von Social Distancing spüren viele. «Ich mache das Maximale an Hygiene und trage eine Maske. Aber ich gefährde nicht meine psychische Gesundheit», sagt Frick.
Eine kleine Runde Zuhause ist für die Physiotherapeutin kein Ersatz für eine Nacht in einem Club voller Menschen. «In einem Club kannst du dich fallen lassen und frei fühlen. Diese Momente sind wie kleine Inseln an Leben. Danach hält man auch Corona wieder aus.»