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Genuss und Leben Alkohol macht krank – warum trinken wir trotzdem?

Die Festivalsaison ist vorbei – und damit auch das Rauschtrinken? Von wegen! Nach dem Festivalsommer ist vor dem Oktoberfest. Die feuchtfröhliche Feierlaune bleibt. Und das Feierabendbierchen lässt man sich auch ungern nehmen.

Der Mensch und der Alkohol, eine schwierige Beziehung – weiss man doch, dass es keine gesunde Menge davon gibt. Warum wird ihm also trotzdem gefrönt? Antworten hat der Kulturtheoretiker und Philosoph Robert Pfaller.

Robert Pfaller

Philosophie-Professor

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Robert Pfaller ist Professor für Philosophie und Kulturtheorie an der Kunstuniversität Linz. Im Essay «Zwei Enthüllungen über die Scham» nimmt er unseren Umgang mit der Scham unter die Lupe.

SRF: Alkohol entspannt und lässt uns im Jetzt sein. Aber er macht auch krank. Warum trinken wir trotzdem?

Robert Pfaller: Alles, was uns Lust bereitet, hat eine bestimmte ungute Dimension: Es ist entweder ungesund wie Alkohol oder unanständig oder unappetitlich oder sozial problematisch wie Sex oder kostspielig wie das Einladen von Freunden oder das Tragen teurer Kleidung. Sogar scheinbar harmloseste Vergnügungen beinhalten dieses Ungute.

Zum Beispiel?

Wenn Sie spazieren gehen, müssen Sie bereit sein, Zeit zu verschwenden, und wenn Sie philosophieren, Gedanken verschwenden wollen. Das kann man nicht ständig machen. Darum schrecken viele Menschen davor gänzlich zurück. In bestimmten Momenten aber gelingt es uns, Beschränkungen zu überwinden und grosszügiger, eleganter und unbekümmerter zu sein, als im Alltag. So entstehen besondere Momente, in denen wir das Gefühl haben, dass es sich zu leben lohnt. Um diese Momente zu markieren, sie zu feiern und uns dieses Gefühl zu verschaffen, trinken wir.

Zwei Personen posieren mit Getränken auf einem Festival.
Legende: Festivalzeit gleich Alkoholzeit? Das «Ungute» mischt sich nur allzu gerne unter das Vergnügen. Getty Images/Klaus Vedfelt

Vielleicht auch, weil wir im Rausch gefühlt näher bei uns selbst sind?

Vielleicht sind wir vielmehr ferner von uns selbst – weil wir grosszügiger, unbekümmerter, weniger geizig mit Geld, Zeit, Gesundheit etc. sind. Und dadurch näher an jenen anderen, die auch gerade ferner von sich selbst sind.

Geselligkeit versöhnt uns durch ihre milden Genussbefehle.

Es ist die Geselligkeit, die uns ermöglicht, alltägliche Beschränkungen zu überwinden. Auf uns allein gestellt, wären wir wohl scheu gegenüber dem Unguten der Genüsse. Aber Geselligkeit versöhnt uns durch ihre milden Genussbefehle mit dem Lohnenden des Lebens.

Wie erklären Sie sich umgekehrt den Reiz an der Nüchternheit, dem Verzicht?

Es gibt eine weit verbreitete Tendenz in unserer Kultur, sich dem Unguten unserer Genüsse nicht mehr zu stellen. Denken Sie an die Produkte des «Non-ism»: Wein ohne Alkohol, Bratwurst ohne Fett, Sex ohne Körperkontakt, Kunst ohne Genie etc. Das ist bequem, weil man dann alle Herausforderungen vermeiden kann. Diese asketische Mode aber wirft die Individuen auf sich selbst zurück. Sie beraubt sie der Möglichkeit, Geselligkeit zu erfahren und zu lernen, dass man dank ihr das Ungute in bestimmten Momenten in etwas Grossartiges verwandeln kann.

Wie denn genau?

Psychoanalytisch nennt man diesen Vorgang «Sublimierung». Ohne die dadurch entstehenden grossartigen Erfahrungen wird das Leben zu einer schalen Übung. Es macht die Menschen zu servilen Kräften, deren Existenz dann nur mehr der blossen Lebenserhaltung dient.

Man muss das Lohnende des Lebens fordern.

Solche Menschen werden in der Folge aber auch leicht zu gehorsamen Dienern anderer Menschen. Das ist die politische Dimension am Genuss.

Das müssen Sie ausführen.

Man muss das Lohnende des Lebens fordern. Wenn man dagegen alle Anstrengungen nur auf die Erhaltung des Lebens verwendet, dann ist der Tod das Schlimmste. Und wenn man einmal da angekommen ist, hat man nicht nur kein Leben mehr, das diesen Namen verdient. Man ist auch unweigerlich all jenen unterworfen, die einem mit dem Verlust des Lebens drohen können.

Das Gespräch führte Olivia Röllin.

Brauchen Sie Hilfe in Suchtfragen?

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Eine Abhängigkeit von gewissen Substanzen – Medikamenten, Alkohol, Tabak oder illegalen Drogen – ist eine Krankheit, die behandelt werden kann. Auf der folgenden Liste finden Sie eine kleine Auswahl an Institutionen, wo Sie rasch Hilfe erhalten.

Radio SRF 1, Regionaljournal Zürich, 1.9.2025, 8:03 Uhr

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