Christian Seiler schreibt voller Poesie, Leidenschaft und Witz über Essen und Genuss. Nun legt der Kulturjournalist ein neues Werk über Rezepte und ihre Geschichten vor. Ein Gespräch über die hohe Kunst des Kochens, unter besonderer Berücksichtigung des Wahnsinns, der uns mit Weihnachten vor der Küchentür steht.
SRF: In «Alles wird gut» widmen Sie Weihnachten fast ein ganzes Kapitel. «Kocht am besten etwas, was ihr gerne und immer kocht», schreiben Sie. Warum das?
Christian Seiler: Weihnachten ist sowieso immer ein totaler Stress, das Schlimmste ist, wenn man etwas Besonderes für diesen besonderen Tag kochen möchte. Dann hat man natürlich einen besonders grossen Stress.
Die einfachste Faustregel für Weihnachten: Maximal drei Gänge, davon zwei Gänge einkaufen. Den einen Gang, den man kocht, sollte man so wählen, dass es Wurst ist, ob der jetzt noch eine halbe Stunde länger im Ofen ist.
Dann wird Weihnachten ein Erfolg, und man kann entspannt mit den Kindern noch ein Weihnachtslied singen, bevor man isst.
Bei Ihnen gibt es zu Weihnachten immer Lachs nach Tanja Grandits und Gurkensalat. Sie schreiben, dass Sie das mittlerweile so oft gekocht haben, dass Sie sich nicht mehr sicher sind, ob Tanja Grandits das Rezept nicht von Ihnen hat.
Das ist natürlich eine wahnsinnige Anmassung von mir. Aber so funktioniert das mit Rezepten! Leute kommen zu dir nach Hause und man kocht für sie. Ein Jahr später kommen sie wieder und man kocht vielleicht wieder dasselbe und irgendwann rufen sie an und wollen das Rezept von deinem Lachs.
Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie das Essen zu Ihrem Lebensinhalt gemacht haben?
Mir gefällt vor allem die Herausforderung, über Essen zu schreiben. Als Kulturjournalist habe ich besonders gerne über Musik geschrieben. Dabei habe ich festgestellt, dass man dafür eine gedankliche und sprachliche Welt erschaffen muss.
Das Schreiben über Essen und Trinken stellt genau dieselben Anforderungen wie das Schreiben über Musik. Es geht darum, sinnliche und sensorische Phänomene in Sprache zu verwandeln und diese mit einer gewissen Poesie zu vermitteln.
Hören Sie Musik zum Kochen?
Ich höre sehr viel Musik, nicht nur beim Kochen, sondern auch beim Schreiben.
Was muss diese Musik erfüllen?
Beim Schreiben ist die Voraussetzung in der Regel, dass es keine deutschsprachige Musik sein darf. Das lenkt zu sehr ab. In der Küche höre ich dagegen sehr gerne deutschsprachige Musik. Ich liebe zum Beispiel Thees Uhlmann, ein fantastischer Rockmusiker mit lustigen Texten.
Ich musste meine Grossmutter fragen, was für ein Spiegelei in die Pfanne gehört.
Wann haben Sie das erste Mal etwas gekocht?
Als ich meine erste eigene Wohnung bezogen habe, das möchte man nicht nochmal erleben! Damals hat es mir am Nötigsten gefehlt. Ich musste bei meiner Grossmutter anrufen, um sie zu fragen, was für ein Spiegelei alles in die Pfanne gehört.
Ich bin dann aber relativ rasch besser geworden, da es ja viele Gerichte gibt, bei denen man schnell zum Erfolg kommt. Das ist auch etwas, was an der Arbeit in der Küche so wunderbar ist: Wenn man vier Gerichte kochen kann, kann man diese Bausteine neu zusammensetzen, mischen und spielen.
Auch Ihr Sohn hat eine Leidenschaft fürs Kochen entwickelt. Wie gehen Sie damit um?
Es ist sehr schön zu sehen, dass er so eine Freude am Kochen hat. Das erste Mal, dass er in einem Sternerestaurant war, war er zehn Tage alt. Jetzt ist er 21 und Mitglied der fleischskeptischen Jugendbewegung.
Diese Diskussionen mit meinem Sohn über Essen und Kochen sind unglaublich fruchtbar. Er hat mich auch dazu animiert, einige Rezepte in meinem Buch anzupassen und zum Beispiel Gerichten mit Sojahack offen gegenüberzustehen.
Wie oft kommentieren Sie Kochen und Essen in Ihrem privaten Umfeld?
Ich sage sehr oft etwas. Zum Beispiel, wenn ich etwas gut finde. Ausserdem ist die Spitzengastronomie nicht der Massstab für mich. Eine gute Pasta mit einer guten Bolognese-Sauce, oder auch nur mit reifen Tomaten, kann ein grossartiges Weltklassegericht sein.
Eine gute Pasta beseelt mich und macht mich im Augenblick verliebt. Ich versuche dann auch, das so langsam wie möglich aufzuessen.
Da schwingt auch die Sehnsucht mit, diese Momente immer wieder von Neuem zu erschaffen. Wie gehen Sie damit um, dass das nicht immer möglich ist?
Das akzeptiere ich einfach. Ich bin ja auch nicht auf der Suche nach der permanenten Ekstase. Ich weiss, dass es eine Dramaturgie gibt: Man muss gewisse Tiefen zulassen, damit es Höhen gibt.
Letzte Frage: Was würden Sie essen, wenn Sie noch 48 Stunden zu leben hätten?
Auf jeden Fall einen Hokkaido-Seeigel in einer ganz feinen Tempura-Hülle. Das ist etwas vom Besten auf der Welt. Dann würde ich wahrscheinlich die Markknochen von Fergus Henderson ordern. Als Nachspeise gäbe es frische Erdbeeren mit Sahne.
Das Gespräch führte Hannes Hug.