Während des Bosnienkriegs erklärte die UNO die Stadt Srebrenica 1995 zur Sicherheitszone bosniakischer Muslime – für den bosnisch-serbischen General Ratko Mladić ein gefundenes Fressen, um auf einen Schlag rund 8000 Gegner töten zu lassen. Das Massaker ist als schwerstes Verbrechen Europas seit dem Zweiten Weltkrieg in die Geschichtsbücher eingegangen. Sein Gedenktag jährt sich am 12. Juli zum zwanzigsten Mal.
IT-09-92: Eine Chiffre mit furchtbaren Hintergrund
Nach knapp 16 Jahren auf der Flucht muss sich Ratko Mladić seit 2011 vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) wegen Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Sein Fall trägt das Kürzel IT-09-92. Unter dieser Chiffre sind auf der Webseite des ICTY alle Akten einsehbar.
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Dank dem öffentlich zugänglichen Terminplan des Prozesses wird zum Beispiel ersichtlich, dass der Fall IT-09-92 letzte Woche vier Mal vor Gericht tagte: am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag von 9.30 bis 14.15 Uhr und am Freitag von 11.30 bis 17.30 Uhr.
Den Akten ist weiter zu entnehmen, dass die Verteidigung im Mai während 13 Prozesstagen zehn Zeugen aufrief. Die meisten von ihnen sind ehemalige Angehörige der Vojska Republike Srpske-Armee, deren Oberbefehlshaber Mladić von 1992 bis 1996 war. Dank den Gerichtsprotokollen kann der genaue Wortlaut der Verhandlungen nachvollzogen werden. Die Beteiligten erlangen dadurch eine Art Persönlichkeit, jenseits von Fallkürzeln und abstrakten Beschreibungen.
Zu 2500 Jahren verurteilt
Das Sichten der Akten lässt eine Betroffenheit entstehen, die über das blosse Erinnern der Kriegsverbrechen hinausgeht. Auch trockene Zahlen erzählen eine eindrückliche Geschichte. Die Jahre aller Gefängnishaftstrafen der bis heute vom ICTY verurteilten 147 Kriegsverbrecher können zusammengezählt werden: Wenn die zehn lebenslangen Gefängnisstrafen nicht mitgerechnet werden, ergibt dies eine Summe von mehr als 2500 Jahren.
Ob das Strafmass der Kriegsverbrecher die frühzeitig beendeten Menschenleben wie die der Männer und Jungen von Srebrenica aufwiegen, bleibt dahingestellt. Sicher aber stellt es für die Hinterbliebenen eine Art Entschädigung dar. Mladićs Urteil wird für November 2017 erwartet. Voraussichtlich erhält er eine lebenslange Gefängnisstrafe.
Persönliche Schicksale hinter den Fakten
Ebenso wie für die Frauen von Srebrenica als auch für Carla del Ponte, ehemalige Chefanklägerin in Den Haag, wird es eine Genugtuung sein. Miteinander verbündet kämpfen sie seit 20 Jahren gegen die Machenschaften der ehemaligen Politiker und des Militärs.
Gedenktage wie heute lassen die Ereignisse von damals als abgeschlossen erscheinen. Die Auseinandersetzung wird aber oftmals auf einen historischen Blick reduziert. Erst die persönlichen Schicksale hinter Fakten und Statistiken erlauben es, Jubiläumspolitik mit Menschlichkeit zu füllen.