Mitten in Berlin, zwischen drei stillgelegten Bahnhöfen, konnte sich ein ungewöhnliches Biotop entwickeln. Zwischen halb zerfallenen Güterschuppen und Stellwerken wuchsen Birken und Brombeeren, blühten Weichselkirschen und Wildrosen, schlichen Füchse und Marder herum, sangen Nachtigallen und Zaunkönige.
In den 1980er-Jahren zählten Biologen 413 verschiedene Pflanzenarten. 112 Schmetterlingsarten fühlen sich wohl in diesem wilden Grün, das sich das Gleisdreieck erobert hatte.
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40 Jahre Dornröschenschlaf
Denn: nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Besitzverhältnisse ziemlich vertrackt. Das Areal gehörte dem nicht mehr existierenden Deutschen Reich, die Hoheit über das Gelände lag in den Händen der Alliierten, das Betriebsrecht hatte die Ostberliner Reichsbahn.
Das Resultat dieser komplizierten Besitzverhältnisse: das Gleisdreieck fiel in einen Dornröschenschlaf, der 40 Jahre dauerte.
«Himmel über Berlin» im Gleisdreieck
Während dieses Schlafes liessen sich Künstler von dieser verwilderten Bahnlandschaft im geteilten Berlin inspirieren. Der Regisseur David Hemmings liess in «Schöner Gigolo, armer Gigolo» die Schlussszene mit David Bowie 1978 auf dem Gleisdreieck drehen, und Wim Wenders war so fasziniert, dass er das Gleisdreieck für Teile seines Filmes «Himmel über Berlin» als Drehort nutzte.
Aber auch Bewohnerinnen und Bewohner der Stadtteile Kreuzberg und Schöneberg entdeckten die wildromantische Brache als willkommenen Freiraum.
Pläne für eine Autobahn und eine Bundesgartenschau auf dem Gelände liessen Bürgerinnen und Bürger auf die Barrikaden steigen.
Einmalige Bürgerbeteiligung
Diese und viele andere Geschichten hat die Landschaftsarchitektin Andra Lichtenstein gemeinsam mit Flavia Alice Mameli zusammengetragen. Sie haben Interviews geführt mit Künstlern und Aktivistinnen und Stadtplanerinnen getroffen, die die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger moderiert haben.
Denn als klar wurde, dass die grüne Brache nur teilweise bebaut und in einen Park umgewandelt wird, wurden die Bürgerinnen und Bürger 2005 in Form von Online-Befragungen, Spaziergängen und Workshops miteinbezogen.
Für Berlin war das ein absolutes Novum. Die Resultate dieser Befragungen flossen denn auch tatsächlich ein in den internationalen landschaftsplanerischen Wettbewerb. Gewinner war das Atelier Loidl.
Der Kampf hat sich gelohnt
In ihrem Buch «Gleisdreieck/ Park Life» legen die beiden Herausgeberinnen Lichtenstein und Mameli dar, wie sich die Zwischennutzungen und die Bürgerbeteiligung gelohnt haben. Zum einen hatten viele das Areal ins Herz geschlossen. Zum anderen haben die Naturschützer, die für den Erhalt der gesamten Vegetation kämpften, immerhin erreicht, dass im neuen Park ein langer Streifen «Wald» erhalten blieb.
Ausserdem haben es die Gärtner der Kleingartenkolonie zustande gebracht, dass die Schrebergärten, die bereits 1948 entstanden, Bestandteil des Gleisparks wurden und sich nun mit einem lauschigen Café zu einem eigentlichen Anziehungspunkt entwickelt haben. Als Gegenleistung waren sie bereit, die Gärten für alle zu öffnen.
Einblicke in ein vergessenes Areal
Das reich bebilderte Buch gewährt einen wunderbaren Einblick in einen erstaunlichen Prozess, der aus einem vergessenen Areal einen Park für alle gemacht hat. Es zeigt auch auf, dass die Planung des öffentlichen Raumes nicht nur Sache der Behörden und der Landschaftsarchitekten sein kann, sondern dass die Partizipation und die Bedürfnisse der Nutzer von Anfang an eine wesentliche Rolle spielen müssen.