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Ein kleiner Junge, voller Staub, mit blutender Wunde am Kopf sitzt auf einem Stuhl.
Legende: Ein Bild geht um die Welt: Ein kleiner Junge unter Schock. Keystone

Gesellschaft & Religion «Das Video wird ikonischer sein als das Bild»

Es gibt Bilder, die brennen sich ins Gedächtnis ein. Sie werden zur kollektiven Erinnerung, zu Ikonen. Das Bild des kleinen Omran ist so eines. Ein Symbol für die Unerbittlichkeit des Syrienkriegs. Fotoexperte Urs Stahel über eine neue Art der Bildikone: Videos.

Urs Stahel, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie das Video des syrischen Jungen Omran gesehen haben?

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Ich habe das Video im Fernsehen gesehen und sofort aufmerksam hingeschaut: Auf diesen kleinen, unbeweglichen Jungen, der nichts tut. Bis er plötzlich mit seiner Hand über die eine Hälfte des Gesichts fährt. Um dann das, was er dort ertastet, vielleicht Blut, auf seinem Sitz abzustreifen.

Diese Bewegung des Jungen hat mich sehr berührt. Eine Rührung, die ich beim Betrachten des Fotos nicht so stark empfunden habe.

Wir sehen täglich schreckliche Bilder, sind diesen Bildern gegenüber vielleicht überfordert, oft auch abgestumpft. Beim Video aus Aleppo macht die Bewegung aus, dass es die Leute über die Weltmedien erreicht.

Ein Junge unter Schock: Von diesem Motiv verbreitete sich über die Medien zum einen die Videoaufnahme, zum anderen ein Standbild. Was wird ikonisch werden: das Foto oder das Video?

Urs Stahel

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Der Kurator, Autor und Dozent war Mitgründer und Direktor des Fotomuseums Winterthur.

Bisher sind es in der Geschichte der Bilder, und in der Geschichte der Medien, immer Fotografien gewesen, die ikonisch geworden sind. Oder auch manche Gemälde – wie ein gekreuzigter Heiland oder die Mona Lisa.

Das sind alles stehende Bilder. Durch die Onlinemedien stehen bewegte und stehende Bilder heute nebeneinander. Ich kann mir vorstellen, dass das Video eines Tages ikonischer sein wird als das stehende Bild.

Kinder rennen weinend eine Strasse hinunter, hinter ihnen Rauch und Soldaten.
Legende: Nick Ut gewann für das Bild «The Terror of War» (1972) den Pulizerpreis. Keystone

Das berühmte Schwarz-Weiss-Foto aus dem Vietnamkrieg 1972, in dem schreiende Kinder auf einer Strasse vor Soldaten fliehen, hat die weltweite Empörung über den Vietnamkrieg gesteigert. Kann ein Video, wie das von Omran, eine ähnliche Wirkung entfalten?

Das ist extrem schwer zu sagen. Die Gefahr dieser ikonischen Bilder ist, dass sie uns für einen kurzen Moment ein Gefühl der Trauer geben. Wir sind für einen Augenblick aufgeschreckt – danach geht unser Alltag weiter. Damit meine ich unseren persönlichen Alltag, aber auch den Alltag von unseren Bundesräten oder beispielsweise von Präsident Obama.

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Das heisst auch die Schrecklichkeit der Welt, der Situation in Syrien, geht weiter. Sie berührt uns nur für einen Moment.

Dem Bild aus Vietnam wird zugeschrieben, dass es die amerikanische Öffentlichkeit zum ersten Mal aufgeschreckt und die Wende im Vietnamkrieg miteingeleitet hat. Ob das Bild aus Syrien dieselbe Reaktion auslösen kann, kann man in keiner Weise sagen.

Im Moment hat man das Gefühl, dass im Syrienkonflikt endlos, über jegliche Moral und Ethik hinaus, Menschen umgebracht werden. Ich glaube eher nicht, dass dieses eine Bild diese Situation ändern wird.

Weshalb wird das Bild von Omran in Ihren Augen wenig ändern?

Das Bild dieses syrischen Jungen berührt mich, aber es erzählt mir nichts über den Syrienkrieg. Es erzählt mir keine Hintergründe.

Wir leben in einer Welt, in der mich manchmal das Gefühl beschleicht, dass die Darstellung der Realität extrem vereinfacht wird.

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