Aktivistische Kunst, sozial engagierte Kunst, politische Kunst – der Begriffe sind viele. Die Begriffsverwirrung gehöre zum Phänomen, genauso wie der Wille zur Veränderung, sagt Florian Malzacher. Der Kurator leitet das Impulse Theaterfestival in Nordrhein-Westfalen und ist als einer der ersten auf die jüngsten aktivistischen Tendenzen in den Künsten aufmerksam geworden.
Weltweit engagierten sich in den letzten Jahren Bürger. Man denke an die Occupy-Wall-Street-Bewegung, den Arabischen Frühling oder die Studentenproteste in Hongkong. Unter den Massen von Engagierten waren von Anfang viele Künstler. Sie hatten mit ihren Aktionen auf den Strassen die politische Veränderung im Blick. Florian Malzacher organisierte 2012 ein erstes internationales Treffen aktivistischer Künstlerinnen und Künstler am Festival Steirischer Herbst in Graz.
Aktivistische Kunst von Ägypten bis Kuba
Seither hat sich das Feld der aktivistischen Kunst stetig erweitert: Dazu zählen Filmemacher aus Ägypten, welche Repressionen gegen die Bürgerbewegung dokumentieren. Oder die bekannte Künstlerin Tania Bruguera, die in Kuba im Kunstkontext eine Plattform für freie Meinungsäusserung schuf.
Aber auch die Aktionen des Berliner Zentrums für politische Schönheit, das deutsche Pflegeltern für syrische Kinder suchte und mit einer gefälschten Online-Kampagne auf die Doppelmoral der europäischen Flüchtlingspolitik hinwies.
Jeder ist ein Künstler
Die zeitgenössischen aktivistischen Kunststrategien berufen sich auf eine lange Vorgeschichte. Bereits die sowjetischen Konstruktivisten schufen im frühen 20. Jahrhundert ihre auf Geometrie basierenden Werke der Kunst und Architektur mit dem Ziel, dadurch die Gesellschaft zu verändern. Die Futuristen schlossen sich ihnen an.
Link zum Thema
Und von Brecht bis Fluxus rattert die jüngere Geschichte einer Kunst mit politischer Wirkungsabsicht im Schnelldurchlauf weiter. 1967 entwickelte Joseph Beuys seine Idee einer «sozialen Plastik» und definierte damit jede gesellschaftsverändernde Handlung als Kunst. Ein Kunstwerk als Objekt war nicht mehr nötig.
Performance und Friedensdemo im Hotelbett
Auch das Bed-In von Yoko Ono und John Lennon steht in diesem Kontext. 1969 heirateten die beiden und beschlossen mit einer Kunstperformance, das immense Medieninteresse an ihrem Privatleben für ein politisches Anliegen zu nutzen. Eine Woche lang lagen die Frischvermählten mit den langen Haaren im Bett.
Die Performance wurde als Bed-In berühmt. Die Superstars boten darin keine Küsse, sondern Argumente: gegen den Vietnamkrieg, für den Weltfrieden. Dabei nutzten sie in typischer Weise Mittel, die aktivistische Kunst auszeichnen: Irritation und Überraschung, um mediale Aufmerksamkeit zu erregen. Und das ebenso grosse wie schlichte Ziel, die Welt konkret zu verändern.
Kein Spiegel, sondern ein Hammer
«Kunst ist nicht ein Spiegel, den man der Wirklichkeit vorhält, sondern ein Hammer, mit dem man sie gestaltet.» Dieses Zitat wird wahlweise Brecht, Marx oder Majakowski zugeschrieben, und es fasst den Kern der aktivistischen Kunststrategien. Denn «politisch» war Kunst eigentlich schon immer.
Auch die auf den ersten Blick harmlos wirkenden niederländischen Genrebilder aus dem 17. Jahrhundert haben einen politischen Kern. Sie erheben alltägliche Szenen in einer Schenke oder Küche zu bildwürdigen Sujets und stellen sie neben Herrscherporträts und Historienbilder.
Nicht eine, sondern unterschiedliche Kunstgeschichten
Noch ist es zu früh, die aktivistischen Kunststrategien der Gegenwart in eine Geschichtsschreibung einzufügen. Und es stellt sich die Frage, ob die oppositionellen Künstlerinnen und Künstler weltweit das überhaupt wünschen. Geschichtsschreibung ist schliesslich nicht zuletzt ein Herrschaftsinstrument dessen, der sie schreibt. Bisher waren das weisse Männer aus dem sogenannten Westen.
Bleibt zu hoffen, dass aktivistische Künstlerinnen und Künstler weltweit nicht nur die Wirkung von Kunst ausweiten, sondern auch die Kunstgeschichte irgendwann in regional unterschiedliche Kunstgeschichten aufsplitten.