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Fotos von Kriegsopfern hängen nebeneinander an Schnüren.
Legende: Gesichter des Todes: Porträts von Opfern des Völkermords im «Genocide Memorial Centre» in Kigali, Ruanda. Keystone

Gesellschaft & Religion Im Angesicht des Todes

Der deutsche Journalist Bartholomäus Grill ist in seinem Leben oft dem Tod begegnet: Als Afrika-Korrespondent sah er die Leichenberge in Ruanda; in seiner Familie erlebte er Sterbehilfe hautnah. «Der Tod hat viele Gesichter», schreibt Grill in seinem neuen Buch – «und ich habe in viele geschaut.»

Als vor 20 Jahren in nur 100 Tagen in Ruanda 800‘000 Menschen niedergemetzelt wurden, kam Bartholomäus Grill zu spät. Der Afrika-Korrespondent der «Zeit» war dabei, als in Südafrika der grosse Nelson Mandela zum Präsidenten gewählt wurde und sich alles zum Guten zu wenden schien. Dass nicht weit davon entfernt in Ruanda der schlimmste Völkermord der Nachkriegs-Geschichte ablief, registrierte Grill erst später.

Buchhinweis

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Bartholomäus Grill: «Um uns die Toten. Meine Begegnungen mit dem Sterben.» Verlag Siedler

Als er schliesslich am Stadtrand der Hauptstadt Kigali eintraf, war das Land im Blut versunken, Leichenberge häuften sich, in Windeseile mussten massenweise neue Friedhöfe ausgehoben werden. Der routinierte Journalist und Afrika-Kenner Bartholomäus Grill hatte es auf dem südlichen Kontinent schon viel mit dem Tod zu tun gehabt – mit Aids, Seuchen, Hunger, Krieg. Aber solch einen «Triumph des Todes» hatte er noch nie erlebt, schreibt Grill in seinem soeben erschienen Buch «Um uns die Toten. Meine Begegnungen mit dem Sterben».

Dem Verdrängten eine Sprache verschaffen

Doch nicht nur als Auslandskorrespondent ist der 60-jährige, aus Bayern stammende Zeitungs- und Buchautor der vielfältigen Phänomenologie des Todes begegnet. «Der Tod hat tausend Gesichter», schreibt er, «und ich habe in viele geschaut.»

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Dass Grill, der bisher zahlreiche Bücher über Afrika veröffentlicht hat, nun über diese vielen Gesichter des Todes publiziert, hat vor allem mit seinem Bruder Urban zu tun. Der ist vor zehn Jahren als 46-Jähriger mit einem unheilbaren und unendlich schmerzhaften Krebsleiden zur Sterbehilfeorganisation Dignitas nach Zürich gefahren, weil ihm der begleitete Freitod die einzig noch verbliebene Freiheit zu sein schien.

Die letzten 30 Stunden im Leben seines Bruders hat Bartholomäus Grill damals zu einem Essay gebündelt, das als «Zeit»-Dossier erschien. Dieses zeitgeschichtliche Dokument löste in Deutschland, wo man wegen der Nazi-Vergangenheit jeder Form von Sterbehilfe immer noch sehr ablehnend gegenübersteht, eine monatelange Diskussion aus. Gleichzeitig wurde Grill dafür mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet, dem renommiertesten deutschen Zeitungspreis. In der Laudatio hiess es damals, dass Grill «einem verdrängten Vorgang Sprache» verschafft habe.

Hineingewachsen in eine Todeskultur

Das Kapitel «Endstation Zürich» steht nun auch im Mittelpunkt des neuen Buches über den Tod. Grill beschreibt darin weiter, wie er im alpenländischen Katholizismus in «eine regelrechte Todeskultur hineingewachsen» sei.

Man ist von Kreuzen, Bildern und Figuren umgeben, die dauernd an den Tod erinnern. Zudem ist die kleine Schwester schon als Baby gestorben, das Sterben der Mutter war erbarmungslos, mit dem geliebten Bruder hat er die letzten Tage und Stunden intensiv geteilt, in Ruanda ist er über Leichenberge gestolpert und in Uganda musste er über die Aids-Waisen schreiben. Von den tausend Gesichtern des Todes musste Bartholomäus Grill wahrlich schon in viele schauen.

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