«Wir versuchen aufzudecken, wie die Besatzung wirklich funktioniert, damit eine ethische Debatte darüber entsteht, und die Besatzung hoffentlich endet.» Dana Golan weiss, wovon sie spricht: Mit 18 Jahren leistete die Israelin in Hebron ihren Wehrdienst – mitten im besetzten Westjordanland.
Von 2009 bis 2013 war sie die Geschäftsführerin von «Breaking the Silence». Inzwischen vertritt sie die Veteranen-Organisation in Europa. Zur Zeit stellt sie deren neuen Bericht vor. Er basiert auf den Videoaussagen von mehr als 70 Soldaten, die während des Kriegs im Sommer 2014 im Gazastreifen im Einsatz waren.
Verschärfte Einsatzbefehle
Früher herrschten für Soldaten andere Regeln: «Bevor sie auf jemanden schossen, mussten sie sicher stellen, dass dieser Mensch bewaffnet war», berichtet Golan. Bei der «Operation Schutzlinie» sei den Soldaten dann aber das Gegenteil befohlen worden: «Wenn ihr Zweifel habt – schiessen!» Sprecher der israelischen Armee begründen dieses Vorgehen mit dem Hinweis auf arabische Selbstmordattentäter. Diese hatten mit Bombengürteln um den Bauch schon viele Israelis in den Tod gerissen.
Wo liegen ethisch die Grenzen bei der Bekämpfung des Feindes? «Breaking the Silence» will mit seinen Aktivitäten auf den hohen Preis des neuen israelischen Sicherheitskonzept aufmerksam machen: den Tod vieler unschuldiger Zivilisten.
Ein Instrument der Verteidigung
Gegründet wurde die Gruppe «Breaking the Silence» 2004 von Jehuda Schaul, einem orthodoxen Juden, der in Hebron diente. Schaul lässt keinen Zweifel daran, dass er am Existenzrecht Israels festhält. Zugleich betont er, dass die israelische Armee ein Instrument der Verteidigung sein sollte – und kein Mittel der Unterdrückung und Besatzung. Seine Organisation leugnet nicht die Kriegsverbrechen auf der palästinensischen Seite. Doch sie kritisiert die Tendenz des israelischen Militärs, sich in der Wahl seiner Mittel dem Feind anzugleichen.
«Soll sich Israel auf eine Stufe mit der Hamas stellen?» fragt «Breaking the Silence»-Mitglied Dana Golan darum rhetorisch geschickt und gibt gleich selbst die Antwort: «Nein!»
Über 1000 Soldaten befragt
Bislang haben sie mehr als 1000 Soldaten und Reservisten, Männer und Frauen, über ihre Erfahrungen in den besetzten Gebieten befragt. Ein Augenzeuge aus dem letzten Gaza-Krieg lieferte ein besonders verstörenden Bericht von seinem Einsatz.
Der Panzerfahrer erblickte durch die Luke seines Gefährts in der Ferne einen Hügel. «Er war bewachsen mit Olivenhainen, es gab Tropfbewässerung und eine Reihe hübscher Häuser.» Die israelische Armee lässt solche Olivenhaine zerstören mit der Begründung, dass sie auch als Tarnung für Abschussbasen genutzt würden.
Der Soldat schildert das Ergebnis der «Säuberung», wie es im Militärjargon heisst: «Von der ehemaligen Siedlung standen nur noch zwei Häuser. Wir haben den Ort wirklich dem Erdboden gleich gemacht. Ich erinnere mich noch, als wäre es heute geschehen.»
Touren durch Hebron
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«Breaking the Silence» führt jährlich Tausende meist junge Israelis auf Touren durch Hebron, damit sie mit eigenen Augen sehen können, was Besatzung bedeutet.
Auf Einladung halten sie auch Vorträge in Europa und bei jüdischen Gemeinden in den Vereinigten Staaten. «Je mehr Zeugnisse die Veteranen sammeln», meint Dana Golan, «umso deutlicher zeichnet sich ein Muster ab.» Und dieses widerspräche klar der offiziellen Version des Militärs, dass es sich bei den Verstössen um «bedauerliche Einzelfälle» handle.