In der Nacht vom 5. auf den 6. Januar kommt in ganz Italien die Befana: eine gute Hexe. Mit einem Besen saust sie von Kind zu Kind, so will es die Tradition, und beschert den guten Kindern weissen Zucker, den bösen schwarzen Zucker.
Letzterer wird «carbone» (Kohle) genannt und ist Zeichen dafür, dass sich das Kind im vergangenen Jahr nicht gut benommen hat. In traditionsbewussten italienischen Familien verkleidet sich noch heute ein Familienmitglied als Befana. Und kommt mit einem Sack voller Geschenke zu den Kindern.
Purer Kommerz
Seit Jahren ist das Befana-Fest vor allem in den Grossstädten zu einem reinen Kommerzspektakel verkommen. Kinder erhalten Geschenke wie zu Weihnachten. Zahlreiche Ortschaften organisieren Befana-Feste mit mehreren guten Hexen, mit Musik und Tanz und vielen Geschenken. Mit der ursprünglichen Tradition hat das nicht mehr viel zu tun.
In den Konditoreien liegen fast immer Süssigkeiten mit weissem und schwarzem Zucker aus, die es nur an den Tagen kurz vor und kurz nach dem 6. Januar zu kaufen gibt.
Eine uralte Tradition
Das Wort Befana leitet sich vom griechischen Begriff «Epiphania» (Erscheinung), ab. Während in Nordeuropa am 6. Januar die heiligen drei Könige erscheinen, kommt in Italien seit Jahrhunderten die gute Hexe. Interessanterweise existieren seit der Antike auch in Nordeuropa mythologische Frauengestalten, die in den Rauhnächten erscheinen.
In Italien stehen sie mythologie-geschichtlich in einem Zusammenhang mit der Fruchtbarkeitsgöttin Artemis. Es ist nicht ausgeschlossen, dass während der Zeit der Verfolgung heidnischer Riten und Gottheiten durch die katholische Kirche im Volksglauben aus der Göttin eine Hexe wurde.
Anrufung des antiken Sonnengottes
Der mythologische Ursprung der Figur der Befana liegt also in der heidnischen Antike und bezieht sich auf winterliche Fruchtbarkeitsriten, bei denen auch der Sol Invictus, der Sonnengott, angerufen wurde.
Man dankte ihm für die Früchte des alten Jahres und beschwor ihn, auch im neuen Jahr viel Ernte zu schenken.
Italiens Neuheiden
Seit einigen Jahren entstehen in ganz Italien neuheidnische Gruppierungen. Dabei handelt es sich zum einen um folkloristische Vereine. Zum anderen aber auch um überzeugte Neuheiden, die antike Riten wieder aufleben lassen wollen.
Sie sind der festen Überzeugung, dass das Christentum eine falsche Religion und die wahre Religion die der antiken Gottheiten sei. Bei ihren rituellen Veranstaltungen, auch zur Wintersonnenwende und zu Ehren des Sol Invictus, zelebrieren sie Feste, die ebenfalls den antiken Fruchtbarkeitsaspekt mit einschliessen.
Opfer gegen die bösen Geister
In ländlichen und wirtschaftlich unterentwickelten Gegenden Süditaliens legen in den Rauhnächten vor allem ältere Frauen bei Weihstöcken und in katholischen Heiligtümern kleine Opfergaben ab: meist in Form von Lebensmitteln, um damit den Einfluss böser Geiste auch im neuen Jahr fernzuhalten.
Diese bösen Geister haben keine präzisen Namen. Sie werden zumeist nur «il male» genannt: das Böse. Dem Volksglauben zufolge existieren sie, um den Gläubigen in allen nur denkbaren Lebenslagen Böses zuzufügen.
Beide Augen zudrücken
Jahrhundertelang hat die katholische Kirche versucht, solche heidnischen Riten zu verbieten. Ohne Erfolg. Und so drücken heute nicht nur lokale Geistliche angesichts von Opfergaben gegen vermeintlich böse Geister beide Augen zu. Sondern auch die Amtskirche.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 29.12.2015, 16:45 Uhr