Henderson ist ein Star, der sogar in Zürich auf der Strasse erkannt wird – wohl wegen des Outfits, in dem er immer auftritt: dicke Brille, farbige Ringelsocken und ein blauweiss gestreifter Anzug, der aus dem Schürzenstoff der Köche seines Londoner Restaurants St. John gefertigt ist. Doch nichts liegt ihm ferner als Starallüren. Fergus Henderson ist ein freundlicher, zurückhaltender Mensch, herzlich und bescheiden.
Ein Gebot der Höflichkeit
«Nose to tail» – von der Schnauze bis zum Schwänzchen – nennt sich seine Kochphilosophie. Möglichst viel solle man von einem Schlachttier essen, und nicht nur die vermeintlich edlen Teile wie das Filet.
Diese Haltung ist einerseits der Nachhaltigkeit geschuldet, denn heutzutage landet nur noch knapp die Hälfte eines Tieres auf dem Teller, der Rest wird zu Tierfutter, Dünger oder Knochenmehl weiterverarbeitet. Andererseits sei es aber auch schlicht ein Gebot der Höflichkeit, ein Tier so vollständig wie möglich zu verzehren: Immerhin hat es sein Leben für uns gelassen, sagt Fergus Henderson. Und schliesslich gehe es einfach um den «common sense», ein Begriff, den er immer wieder verwendet. Kochen mit gesundem Menschenverstand, mit vernünftigem Augenmass, mit dem Blick auf lokale und saisonale Produkte – und mit dem Fokus auf authentischen Geschmack.
Die Poesie des Magens
Beim Thema Geschmack wird Henderson leidenschaftlich. «Wieviel mehr Geschmack, welche ungeahnten Konsistenzen bieten Innereien im Vergleich zu einem Filet», sagt er, und beginnt mit poetischen Worten die Vorzüge knackiger Nieren zu schildern oder die Zartheit eines Schweinskopfes. «Und stellen Sie sich vor, wie Kutteln Ihren Magen von innen her streicheln und liebkosen – ist das nicht ein Genuss?»
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Es sind diese Glücksgefühle, die Henderson, den studierten Architekten, vor 20 Jahren zum Kochen gebracht haben. Glücksgefühle, gespiesen aus den Düften und Dämpfen seiner Kindheit. Die Mutter war eine gesegnete Köchin, der Vater ein dankbarer Esser. Prägend waren, wie er in einem Interview mit der Zeitung «Guardian» sagte, die Erinnerungen an die Gelage im Elternhaus, «wenn morgens der Tisch voll war mit halb ausgetrunkenen Weingläsern und den Überresten einer monumentalen Crème caramel – das waren die sorglosen 60er und 70er-Jahre, als man noch ins Bett ging, ohne aufzuräumen.» Beigebracht hat sich Henderson das Kochen selbst.
«Nieren zum Frühstück»
Und heute noch ist dieses Glück Hendersons Triebfeder. Ein ansteckendes Glück offenbar, denn sein Restaurant in einem schicken Stadtteil Londons ist zur Kultstätte geworden. «Obwohl sich anfangs die Businessleute wegen der Speisekarte nicht hineingetraut haben», schmunzelt Henderson. Er selber steht wegen seiner Parkinson-Erkrankung nicht mehr am Herd. Seine Arme würden wie Windmühlenflügel rudern, wie er es selbst formuliert. Dank einer Gehirnoperation hat er die Krankheit aber gut im Griff. Nun widmet er sich umso lustvoller wieder dem Essen und Trinken: «Nieren zum Frühstück», schwärmt er, «runtergespült mit einem Black Velvet (einem Biercocktail) – gibt es einen besseren Start in den Tag?»