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Jean-Louis
Legende: Jean-Louis Jeanmaire wurde 1977 zu 18 Jahren Zuchthaus verurteilt. Er soll für die Sowjetunion spioniert haben. Keystone

Gesellschaft & Religion So fühlte es sich an im Kalten Krieg

Paranoide Ängste vor einer sowjetischen Invasion, die Bespitzelung zahlloser Linker, eine Geheimarmee: Lukas Hartmann ist mit seinem Roman «Auf beiden Seiten» ein beeindruckendes Zeitgemälde der Schweiz zur Zeit des Kalten Krieges gelungen.

Der Rücktritt von Elisabeth Kopp, der Fichen-Skandal, das Auffliegen der Geheimarmee P-26 – Ende der 1980er-Jahre erschütterte eine ganze Kaskade von Skandalen die Schweiz. Diese politischen Erdbeben, die sich zeitlich parallel zum Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa ereigneten, sind der Dreh- und Angelpunkt von Lukas Hartmanns Roman «Auf beiden Seiten».

Mit grosser Kunst transportiert Hartmann die bleierne Atmosphäre, die zur Zeit des Kalten Kriegs nicht nur in der DDR herrschte, sondern – in milderem Mass – auch in der freiheitlichen Schweiz. Die Erfahrungen einer ganzen Generation finden sich in diesem Buch: das Gefühl der Bedrohung durch eine sowjetische Invasion, die Ängste vor einer auf Umsturz sinnenden kommunistischen Fünften Kolonne im Innern, ein vornehmlich gegen Linke gerichtetes Grundmisstrauen des Bürgertums, die Bespitzelungen durch den Schweizer Staatsschutz.

Buchhinweis

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Lukas Hartmann: «Auf beiden Seiten», Diogenes, 2015.

Der Kalte Krieg mit drei Figuren

All dies entwickelt Hartmann äusserst subtil an der Lebensgeschichte von drei fiktiven Figuren, die er von den 1970er-Jahren über die Wende Ende der 1980er-Jahre bis in die Gegenwart begleitet. Da ist zunächst einmal der linke Journalist Mario Sturzenegger, ein Idealist, der an eine bessere Welt glaubt, engagierte Reportagen über das Elend in Afrika schreibt, die DDR bereist, und dort die beklemmende Stimmung des Stasi-Überwachungsstaates erlebt. Die Desillusion, die sich bei jenem Besuch bereits andeutet, wird nach der Wende 1989 total. Mario scheitert sowohl privat als auch beruflich: Er landet bei einem Boulevard-Familienmagazin. Seine Ehe geht in Brüche. Er verlässt seine Kinder.

Die Gegenfigur zu Mario Sturzenegger bildet Armand Gruber, ein Mann von altem Schrot und Korn, ein glühender Antikommunist. Wie sich nach der Wende zeigt, war Gruber Mitglied der Geheimarmee P-26, die im Falle einer Besetzung der Schweiz durch die Sowjetarmee den Widerstand hätte fortsetzen sollen. Gruber führte ein Doppelleben: Als Angehöriger der P-26 wäre er bereit gewesen, die Demokratie mit jenen Mitteln zu verteidigen, die er – wie viele andere Mitstreiter – dem kommunistischen Feind zugeordnet hatte – mit gewalttätigem Umsturz und Despotie.

Und dann ist noch Karina, eine Frau, die als Tochter des Hausmeisters im Hauptquartier des Schweizer Staatsschutzes aufwächst. Sie erlebt in ihren jungen Jahren jene Überwachungsmanie, die sich dann nach dem Fichenskandal als Hysterie und Paranoia entlarvt.

Lebensbild einer Generation

Die drei Figuren sind allesamt miteinander verwandtschaftlich oder über Freundschaften miteinander verbandelt. Aber zwischen ihnen und ihren unterschiedlichen Lebensauffassungen liegen Abgründe. Über die Jahre hinweg begegnen sich die drei immer wieder. Sie reiben sich aneinander, streiten sich, versuchen die Annäherung, scheitern. Diese Spannungen illustrieren jene Polarisierung, die das Zusammenleben in der Schweiz während des Kalten Kriegs nachhaltig geprägt hat.

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Lukas Hartmann vermeidet jedes Klischieren. Alle Figuren reklamieren aus ihrer Sicht lautere Motive für ihr Denken und Handeln – und sind in ihrer zurückhaltenden und melancholischen Grundtonalität äusserst plastisch gestaltet. Die Menschlichkeit und Lebensnähe der Figuren hat viel mit den häufigen Perspektivenwechseln zu tun, die Hartmann vornimmt. Wir erleben dieselbe Szene oft mehrfach – jeweils aus anderem Blick. Innere Monologe der einen Figur spiegeln sich in denjenigen von anderen.

Eine Geschichte aus Versatzstücken

Zu Hartmanns Erzähltechnik gehört es auch, die Chronologie zu durchbrechen. Er hüpft zwischen den Zeiten hin und her, greift ganze Jahrzehnte vor, arbeitet mit Rückblenden. So gesehen ist der Roman keine Erzählung, sondern das Zusammensetzen einer Geschichte aus zahllosen Versatzstücken.

Entstanden ist eine atmosphärisch dichte Gesamtschau der Schweiz zur Zeit des Kalten Kriegs und der Wende. Darüber hinaus arbeitet der Roman aber auch die ideologischen Scheuklappen einer Generation heraus, die im polarisierten weltpolitischen Klima von damals aufwuchs. Und schliesslich ist das Buch eine ergreifende psychologische Studie über Individuen, die alle mit Illusionen und grossen Lebensansprüche antreten – und allesamt auf ihre Weise scheitern.

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