- Mit Hilfe von randomisierten Studien kann genau gemessen werden, welche Art von Hilfsprojekten die grösste Wirkung erzielt.
- Organisationen, die Moskitonetze verteilen oder Wurmbehandlung für Schulkinder anbieten, schnitten besonders gut ab.
- Die materielle Lage und auch die Demokratisierung hat sich in den meisten Entwicklungsländern in den letzten Jahren markant verbessert.
Barbara Bleisch: Frau Pomeranz, spenden Sie selber?
Dina Pomeranz: Ja, ich spende relativ viel.
Warum?
Weil ich es grossartig finde zu sehen, wie viel man dadurch bewirken kann. Als ich mit 18 Jahren aus meinem Austauschjahr in Costa Rica in die Schweiz zurückkehrte, hatte ich ständig ein schlechtes Gewissen. Wenn ich ein Eis kaufte, dachte ich an die Kinder, die sich mit diesem Geld dringend benötigtes Schulmaterial oder Essen kaufen könnten.
Aber ich merkte schnell, dass Schuldgefühle niemandem etwas nützen und entschied mich stattdessen, jedes Jahr einen signifikanten Prozentsatz meines Einkommens zu spenden, denn wir können viel mehr verändern, als wir meinen.
Ist das filosofix-Gedankenexperiment «Kind im Teich» überzeugend?
Es kann zumindest einen interessanten Gedankenanstoss geben. Mein Eindruck ist, dass viele Leute gerne etwas tun würden für Armutsbetroffene in Entwicklungsländern, aber nicht sicher sind, wie sie dabei vorgehen sollen, damit ihre Spende etwas bewirkt.
Und was sollen wir tun?
Als Entwicklungsökonomin überzeugt mich die sogenannte «evidenz-basierte Entwicklungshilfe», bei der wir genau messen können, welche Art von Projekten die grösste Wirkung erzielt. Dabei schnitten unter anderem Organisationen, die Moskitonetze verteilen oder Wurmbehandlung für Schulkinder anbieten, besonders gut ab. Die Organisation GiveWell bietet einen Überblick, welche Projekte besonders wirksam sind.
Fürs effiziente Spenden plädieren auch die so genannten «effektiven Altruisten», zu denen auch die Philosophen Peter Singer und William MacAskill gehören. Sie verlangen nicht nur, dass wir mindestens 10 Prozent unseres Einkommens spenden, sondern auch, dass wir unsere Spenden effizient einsetzen. Wie misst man die Effizienz von Entwicklungshilfe?
Beispielsweise mit Hilfe von randomisierten Studien: Anstatt eine Massnahme relativ beliebig von einem Dorf zum nächsten einzuführen, kann man die Reihenfolge der teilnehmenden Dörfer randomisieren, also nach dem Zufallsprinzip festlegen. So verfährt man auch beim Testen der Wirksamkeit von neuen Medikamenten.
Dieses Vorgehen erlaubt einen direkten Vergleich zwischen den Dörfern, in welchen das Projekt bereits eingeführt wurde, und jenen, in denen dies noch nicht der Fall ist. Dabei stellt sich heraus, dass gewisse Projekte extrem wirksam sind und andere keine oder nur kleine Effekte haben. Wenn man für Projekte spendet, welche erwiesenermassen sehr wirksam sind, kann man mit dem gleichen Geld also viel mehr erreichen.
Einander zu helfen hat immer auch mit Mitgefühl zu tun. Zerstört das Effizienzdenken nicht auch einen Teil des Hilfsgedankens?
Nein, im Gegenteil. Wer wirklich Mitgefühl hat, will auch, dass die Hilfe möglichst wirksam ausfällt. Wenn ich zum Arzt gehe, möchte ich auch, dass die bestmöglichen wissenschaftlichen Methoden und die wirksamsten Medikamente zum Einsatz kommen. Es käme niemandem in den Sinn, zu sagen, die medizinische Hilfe sollte sich nur auf Mitleid und tröstenden Zuspruch beschränken. Genauso ist es mit der Entwicklungshilfe.
Sie befassen sich auch mit der Problematik der Steuerhinterziehung in Entwicklungsländern. Sollten wir nicht die Strukturen ändern, statt beispielsweise Moskitonetze zu spenden, wie Sie es unter anderem fordern?
Die Änderung von Strukturen und die Verteilung von Moskitonetzen schliessen sich gegenseitig nicht aus. Es braucht beides. Moskitonetze haben zwischen den Jahren 2000 und 2015 450 Millionen Fälle von Malaria verhindert und 4 Millionen Leben gerettet. Jemandem zu sagen: «Wir geben Dir kein Netz, weil wir finden, der Kampf gegen die Steuerhinterziehung ist wichtiger», wäre nur zynisch.
Systeme gegen Güter auszuspielen macht ausserdem keinen Sinn. Im Gegenteil: Eine gesunde und gebildete Bevölkerung ist besser in der Lage, an der Verbesserung der politischen Institutionen mitzuwirken. Die Daten zeigen klar, dass sich sowohl die materielle Lage, wie auch die Demokratisierung in den meisten Entwicklungsländern in den letzten Jahren markant verbessert haben. Wir sind also auf dem richtigen Weg.
Sie sehen die Lage als Entwicklungsökonomin also positiv?
Ja, durchaus. Was mich immer wieder erstaunt, ist, wie sehr sich die Welt zum Besseren verändert und wie wenig wir darüber in den Medien erfahren. Die Weltarmut ist so niedrig wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Kinder- und Müttersterblichkeitsraten konnten seit 1990 auf die Hälfte reduziert werden, die Lebenserwartung steigt stetig an, und der Schulbesuch auf Primar- und Sekundarstufe hat massiv zugenommen.
Auch das Bevölkerungswachstum, vor dessen Explosion noch vor wenigen Jahren gewarnt wurde, ist am Abnehmen und wird sich im Laufe der kommenden Generation stabilisieren. Wer sich für diese Statistiken interessiert, dem empfehle ich die Website Ourworldindata.org .