Zum Inhalt springen
Eine Frau hält die untere Hälfte des Kopfes unter Wasser.
Legende: In Träumen lernen und üben wir – und wir wappnen uns für unser weiteres Leben. Getty Images

Gesellschaft & Religion Träumen ist trainieren im Schlaf

Der Affe steht für unbewusste Triebe, Haare für Macht, die rote Schlange symbolisiert einen Phallus: Bei Freud war Traumdeutung eine klare Sache. Und am Ende ging es sowieso meist um Sex. Wie analysiert man Träume heute, gut 100 Jahre später? Unsere Userinnen und User machten die Probe aufs Exempel.

Sigmund Freud war sich sicher: Träume sind der Schlüssel, um ins geheimnisvolle Reich unseres Unbewussten vorzudringen. Denn in unseren Träumen offenbaren sich unsere unterdrückten Wünsche. Die Wünsche zeigen sich aber nicht direkt, sondern chiffriert. Um also zur wahren Botschaft unserer Träume zu gelangen, müssen diese laut Freud entschlüsselt werden.

Das war im Jahr 1900. Über 100 Jahre später wissen Traumforscher wesentlich mehr darüber, was sich eigentlich in unserem Hirn während der Nacht abspielt. Das zeigt der Wissenschafts-Autor Stefan Klein in seinem jüngsten Buch auf. Und er beschreibt darin auch, was Träume «tatsächlich über uns erzählen», wie er im Untertitel schreibt.

Zur Person

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: SRF/Andreas Labes

Stefan Klein studierte Physik und analytische Philosophie und betrieb Forschung in theoretischer Biophysik. Publizierte als Sachbuchautor verschiedene Bestseller wie «Die Glücksformel», «Alles Zufall», «Zeit», «Da Vincis Vermächtnis» oder «Der Sinn des Gebens». Stefan Klein lebt als freier Schriftsteller in Berlin.

Emotionen statt Symbole

Gemäss Klein ist der Blick in die Träume kein Blick in unsere verdrängten Wünsche. Vielmehr erfahren wir durch Träume, wie unser Geist funktioniert. In der heutigen Traumforschung stehen nicht mehr Bilder als visuelle Symbole im Vordergrund, sondern die damit verbundenen Gefühle. Diese übernehmen in unseren teils wirren Träumen die Regie, und bedienen sich dabei aus dem Material unserer Erinnerungen.

Aber was genau lässt sich nun aus Träumen über unseren Geist aussagen? Unsere Zuschauerinnen und Zuschauer haben den Selbstversuch gewagt und uns ihre Träume gesendet . Zwei von ihnen erklärt Stefan Klein hier:

Traum von Maja Sägmüller, Basel

Ich habe vor nicht ganz 20 Jahren aufgehört zu rauchen. Trotzdem träume ich manchmal, dass ich wieder rauche. Ich bin dann nach dem Aufwachen sehr verwirrt, weil ich nicht weiss, ob ich jetzt wirklich geraucht habe oder nur geträumt habe.

Dieser Traum sagt für Stefan Klein viel über unser Gedächtnis aus: Es ist äusserst träge. Auch wenn wir unsere Frisur ändern oder einen Bart wachsen lassen, kann es Monate bis Jahre dauern, bis wir uns im Traum auch so wahrnehmen. Unsere Träume zeigen also, wie langsam sich unsere Vorstellung von uns selbst und der Welt ändert. Stefan Klein: «Das ist auch eine Chance, denn letztlich verdanken wir es dieser Trägheit, dass uns die Welt nicht als Chaos erscheint.»

Mitunter können wir nicht mehr abschätzen, ob wir etwas geträumt oder im Wachzustand erfahren haben. Das hängt damit zusammen, dass der Übergang von Schlaf und Wachsein kein plötzlicher ist, sondern ein allmählicher.

Traum von Travis Elmar, Bern

Ich träume Folgendes seit vielen Jahren immer mal wieder ... meist ist es recht unangenehm. Das Erwachen dafür umso angenehmer: Ich fahre auf Skis einen Hang hinunter, nicht weiter ungewöhnlich. Ich fahre ohne Kurven geradeaus ... es wird immer steiler, immer schneller. Irgendwann weiss ich, dass ich kaum mehr bremsen kann. Und dann kommt der Punkt, wo ich über einen Abhang oder eine Schanze fahre und abhebe. In der Luft erwache ich dann ...

Für Stefan Klein zeigen auch wiederkehrende Träume, wie sich unser Erfahrungshintergrund aufbaut: Anders als ein Foto entstehen Erinnerungen nicht augenblicklich, sondern wir eignen sie uns in mehreren Schritten an. Unser Gedächtnis ist ein «Wiederkäuer».

Buchhinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Stefan Klein: «Träume. Eine Reise in unsere innere Wirklichkeit.» S. Fischer, 2014.

Der Inhalt des Traumes scheint typisch: Bei den meisten Träumen sind wir irgendwie in Bewegung – selten sitzen wir statisch vor dem Computer oder dem Fernseher, wie wir es im Alltag häufig tun. Das hat damit zu tun, dass wir im Traum Bewegungen trainieren. Dabei spielt der Gleichgewichtssinn eine wichtige Rolle. Wenn dieser im Traum aus dem Lot gerät, kann das Gefühl entstehen, dass wir fliegen – was wir dann je nach aktueller Stimmungslage als angenehm oder beängstigend empfinden.

Warum wir im Traum Bewegungen üben, konnte auch die Neurowissenschaft zeigen: Wir lernen, während wir träumen. Träume schöpfen zwar aus Material der Vergangenheit, haben aber auch mit der Zukunft zu tun. Für Stefan Klein sind Träume also nicht nur eine intensive, ästhetische Erfahrung; hier üben und wappnen wir uns immer wieder für unser weiteres Leben.

Meistgelesene Artikel