Sadou Bah hatte die Wahl: Abtauchen oder Verschwinden. Als Flüchtling mit abgewiesenem Asylantrag, ohne Zukunft in der Schweiz als Forstingenieur zu arbeiten, wählte er den Weg nach vorne. Er begann sich zu engagieren: für mehr Gerechtigkeit im Asylwesen – und mehr Bildung für Migranten. Zusammen mit anderen gründete er die Autonome Schule in Zürich.
«Hier gibt es kein Gefälle zwischen Lehrer und Schüler», erklärt Sadou Bah, «denn Bildung bedeutet Austausch». So kann ein Analphabet vielleicht nicht lesen oder schreiben, aber er kann gut organisieren. Deshalb sitzt er an der Autonomen Schule zwei Tage im Alphabetisierungskurs und hilft an einem andern Tag in der Küche.
Herz und Motor
Bildung – so erklärt der inzwischen 49 Jahre alte Sadou Bah – bedeutet nicht nur Deutschlernen und sich auf das Arbeitsleben vorbereiten. Bildung bedeutet, sich in einem sozialen Gefüge bewegen zu können, anderer Menschen Meinung gelten lassen, mit Unterschieden leben lernen und dabei allen Menschen gegenüber Respekt zu wahren. Dass ihm das nicht nur ein theoretisches Anliegen ist, spürt man schnell im Gespräch: Der Mann mit dem einnehmenden Lächeln ist Herz und Motor der Schule. Die Frage, ob die Multikulturalität denn nicht zuweilen Probleme verursache, wischt er mit einer charmanten Geste vom Tisch: Probleme sind da, um aus ihnen zu lernen.
Ein Mann ohne Rechte
Sadou Bah kam 2002 als 35-Jähriger in die Schweiz. Er wollte studieren, wusste jedoch nicht, dass er als Afrikaner dafür zuerst Asyl beantragen musste, denn keine Hochschule hätte seine Zeugnisse anerkannt. Eine unsanfte Landung in der Schweiz für den Forstingenieur aus Guinea. Doch weil er in seiner Heimat keine Familie mehr hatte und dort auch keine Chance sah, sein Wissen «anständig» – wie er sagt – anzuwenden, sondern lediglich eine Karriere als korrupter Beamter in Aussicht hatte, wollte er nicht mehr zurück.
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Allerdings: Nichts tun, wollte er ebenfalls nicht. Also lernte er Deutsch und begann sich zu engagieren – im Asylwesen, wo er Flüchtlinge unterrichtete. 2008 wurden die Bedingungen im Asylwesen verschärft und Sadou Bah durfte nicht mehr unterrichten. Das war der Moment, wo er schmerzhaft feststellte, dass er ein Mann ohne Rechte geworden war und dass er jetzt, ausgerechnet in der Schweiz, sein letztes bisschen Freiheit verloren hatte.
Verzweifeln geht nicht
Als Sans Papier abtauchen kam für ihn jedoch nicht in Frage, verzweifeln auch nicht – und so besetzte er zusammen mit 150 anderen Menschen die Predigerkirche in Zürich. Das war der Anfang einer sozialpolitischen Bewegung, die in der Gründung der Autonomen Schule gipfelte. Das Motto: Bildung für alle – egal ob Schweizer, Sans Papier oder Flüchtling. Jeder soll sich für die eigene Bildung einsetzen und mitbestimmen dürfen, wie das Angebot aussieht und die Schule geleitet wird.
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Der Erfolg der Schule gab den Initianten Recht: Mehr als 500 Menschen kommen inzwischen wöchentlich die Kurse besuchen. Gerade für Migranten, die älter als 17 Jahre alt sind, gibt es kein entsprechendes Angebot. Die Motivation ist hoch, die Kosten für die Lernenden ausgesprochen tief – getragen wird die Schule durch private Spenden.
Und wie steht es um seine verlorene Freiheit? Sadou Bah, der inzwischen verheiratet ist und legal in der Schweiz lebt, lächelt: «ganz ok.» Er sei jetzt wieder ein Mensch mit gewissen Pflichten und gewissen Rechten.