Schon ihre Stimme ist Balsam für die Seele. Wie eine tiefe Glocke. Beruhigend und mit einem Timbre, das auch Heiterkeit vermuten lässt. Sie empfängt mich in ihrem aprikosenfarbenen Haus in Altstätten im St. Galler Rheintal: Brigitte Küster, die Schweizer Fachfrau für Hochsensibilität.
In den Reizen verloren
Im ausgebauten Kellergeschoss befindet sich das IFHS, ihr Institut für Hochsensibilität. Hier berät sie ihre Klientel, hier bereitet sie ihre Seminare vor, hier kommen wissenschaftliche Daten und Fakten zusammen. «Ich war schon mit vier Jahren die geborene Psychologin», sagt Brigitte Küster, «ich spürte einfach immer, was zu tun war, damit es allen in der Familie gut ging». Meistens war das eine Clownnummer. Durch das Lachen ging es allen besser. Schade nur, dass das hochsensible Kind dabei öfter leer ausging.
15 bis 20 Prozent aller Menschen gelten als hochsensibel. Sie spüren genauer und fühlen tiefer, was um sie herum passiert. Schnell verlieren sie sich selbst in all den Reizen. Ihr Gehirn filtert weniger als andere Gehirne. Die Hochsensiblen sind so leichter reizüberflutet und können manchmal kaum ausblenden, was für andere noch nicht mal der Rede wert ist.
Leidvolle Gedankenkarusselle
Besonders sensible Menschen kommen gedanklich manchmal nicht vom Fleck. In ihrem Kopf drehen sich die Gedanken im Kreis. Was meinte der, als der das sagte und dabei die Augenbraue in die Höhe zog? War das ironisch oder ernst gemeint? Warum hat niemand geantwortet? Was hätte ich tun müssen oder können? «Gedankenkarusselle können sehr leidvoll sein und hochsensible Menschen müssen lernen, die fünf auch mal grade sein zu lassen», sagt Brigitte Küster. Sie vergleicht diesen Zustand mit Barbara Streisands leisem Lied «Windmills of your Mind». Küster mag das Lied sehr.
Die schmale Komfortzone
Eine weitere Gemeinsamkeit der besonders Dünnhäutigen ist der beschränkte Wohlfühlbereich. Das ist da, wo die Temperatur stimmt, wo die Gedanken nicht kreisen. Da, wo nichts weh tut – manche Hochsensible sind sehr schmerzempfindlich. Und da, wo sie sich gerade von nichts anderem erholen müssen. Dieser Bereich ist bei Hochsensiblen deutlich schmaler als bei den Normalsensiblen. Und die Komfortzone muss fast stündlich neu überprüft und austariert werden.
Weil sie durch die Reizflut des Weltgetöses schneller genug haben, brauchen hochsensible Menschen mehr Ruhe und Rückzug. Damit sie aber dadurch nicht in eine Isolation geraten, gilt auch immer wieder das eigene Fassungsvermögen sanft zu erweitern: «Hochsensible können lernen, sich an die eigenen Grenzen anzulehnen» sagt Brigitte Küster.
Hochsensibilität ist aber auch eine Gabe. Menschen von hoher Durchlässigkeit haben ein tiefes Gerechtigkeitsempfinden. Sie spüren früh, wenn etwas schief läuft. Sie können zwischen den Zeilen lesen. Und sie hören die «Flöhe husten». Mit anderen Worten: Wer mit ihnen lebt oder arbeitet, tut gut daran, ihrem Seismograph zu trauen. «Für hochsensible Menschen ist aber sehr wichtig, dass sie um ihr spezielles Sein wissen und lernen, damit umzugehen – nicht nur für die anderen, auch für sich selbst.»