Ende vergangenen Monats veröffentlichten die Taliban neue Gesetze , die es Frauen verbieten, in der Öffentlichkeit zu singen oder laut vorzulesen. Ihre Stimmen dürften nicht über die Grenzen ihrer eigenen Häuser hinweg zu hören sein.
Denn, so die Logik der 35 Artikel umfassenden neuen Gesetzgebung, Frauenstimmen seien ein potenzielles Instrument des Lasters. So berichtet es zumindest der Guardian .
Starke Stimmen
Das Echo liess nicht lange auf sich warten: Plötzlich begannen Frauen im ganzen Land, Videos von sich im Internet hochzuladen, in denen sie singen – um den Taliban zu trotzen.
Die Bewegung gestartet haben laut BBC zwei Schwestern, die sich gleich nach der Machtübernahme der Taliban dafür entschieden hatten, einen Protest von zu Hause aus zu starten. «Wir werden das jetzt singen, aber es könnte uns das Leben kosten», sagt die eine. Dann singen sie.
In einem anderen Video ist eine Frau zu sehen, die von Kopf bis Fuss in Schwarz gekleidet ist und singt. «Ihr habt meine Stimme zum Schweigen gebracht. Ihr habt mich in meinem Haus eingesperrt, für das Verbrechen, eine Frau zu sein.»
Weitere Videos zeigen Frauen in Afghanistan, die allein oder in kleinen Gruppen singen.
Internationale Bewegung
«Die Protestbewegung gegen die Taliban wächst derzeit innerhalb und ausserhalb Afghanistans», so SRF-Korrespondentin Maren Peters. «Frauen posten seit Tagen Videos, auf denen sie singend zu sehen sind. Zum Beispiel auf X, dem vormaligen Twitter, unter den Hashtags #Myvoiceisnotforbidden oder #NotoTaliban.»
Menschen auf der ganzen Welt schliessen sich den singenden Frauen an. «Wir gehen nicht mit einer Waffe ins Feld, sondern mit unserer Stimme, unserem Bild», erzählte Hoda Khamosh, eine in Norwegen lebende Afghanin, dem Guardian. Sie will mit ihrem Video zeigen, «dass wir Frauen nicht nur einige wenige Individuen sind, die ausradiert werden können».
Gefahr für die Frauen
Für die Frauen stehe viel auf dem Spiel, sagt Maren Peters: «Sie riskieren, verhaftet und nach den Regeln der Scharia bestraft zu werden. Dabei können die Taliban gemäss dem neuen Moral-Gesetz jede Strafe wählen, die ihnen angemessen erscheint. Das ist für die Frauen sehr gefährlich.»
Der Zugang zum Internet und zu Social Media stelle in Afghanistan indes kein Problem dar. Laut Peters seien Millionen Afghaninnen und Afghanen auf sozialen Kanälen aktiv. Mit Abstand am meisten genutzt werde Facebook. Nur Tiktok sei verboten.
Die britische Zeitung «The Telegraph» berichtete allerdings jüngst, dass die Taliban Frauen dafür bezahlen, andere afghanische Frauen auf Instagram auszuspionieren, die zum Beispiel Fotos oder Videos von sich mit unbedecktem Gesicht posten. Das ist nach dem neuen Moral-Gesetz nämlich ebenfalls verboten.
Die neuen Gesetze zementieren eine Politik, die darauf abzielt, die Anwesenheit von Frauen in der Öffentlichkeit vollständig auszulöschen, und «versucht, sie zu gesichtslosen, stimmlosen Schatten zu machen», sagte UN-Menschenrechtssprecherin Ravina Shamdasani.
Es gebe kein anderes Land der Welt, das die Rechte von Frauen so stark beschränkt wie Afghanistan unter den Taliban, so Maren Peters. Menschenrechtsorganisationen bezeichnen dies als «Gender-Apartheid». «Dass es Afghaninnen, trotz strenger Strafen, noch immer wagen, dagegen zu protestieren, ist ein Zeichen der Hoffnung in sehr düsteren Zeiten.»