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Getränkeautomat und Mülleimer an einer Strasse.
Legende: KEYSTONE/Gaetan Bally

Glosse zum Superfood-Automaten Selecta stellt Sortiment um: Bitte nicht mein Red Bull!

Snickers, Kondome, Capri-Sonne – er war immer da, wenn man ihn brauchte. Jetzt soll der Selecta-Automat gesund und clean werden. Bitte nicht!

Hannah Krug

Kulturredaktorin

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Hannah Krug ist bei SRF Kultur Online unterwegs und für das Fernsehen. Sie sucht gerne nach Widersprüchen, vor allem in der Gesellschaft.

Er ist ein Geschenk des Spätkapitalismus. Niemals hat mich der Selecta-Automat im Stich gelassen. Nicht als Schulkind, als ich mir vom ersten Taschengeld, eine verbotenen Coca-Cola genehmige. Nicht als Teenagerin, als ich am Automaten heimlich Kondome ziehe. Zucker, Koffein, Elektrolyte – seine Substanz rettet den Tag.

Man weiss, was man bekommt, 24 Stunden lang. Ein beruhigender Gedanke in dieser aufgekratzten Welt.

Der Selecta-Automat, Baujahr 1957, ist geblieben, was er ist: ein dienlicher Alltagsbegleiter, zuverlässig eingefügt ins Stadt-Land-Bild. Man weiss, was man bekommt, 24 Stunden lang. Ein beruhigender Gedanke in dieser aufgekratzten Welt.

Das soll sich nun ändern. Denn dem Selecta-Automaten geht es ziemlich schlecht. Die Konkurrenz am Bahnhof – man sieht es ja. Die langen Öffnungszeiten sind mit Schuld am Schuldenberg von rund einer Milliarde Franken.

Mann steht vor Selecta-Snackautomaten.
Legende: Die Auswahl ist begrenzt, dafür zuverlässig ungesund. Doch nicht mehr lang: Bald müssen wir uns dem Trockenobst beugen. Keystone/Gaetan Bally

Bis zu 80 Stellen hat Selecta in diesem Jahr abgebaut, der Hauptsitz in Zug wird nun fremdvermietet. Deshalb möchte der Schweiz-Chef, Beat Welti, jetzt etwas Neues probieren: Das Schweizer Angebot soll «gesünder und moderner» werden.

Der Automat und sein Angebot sind einer der letzten Nischen, wo schamlos konsumiert werden darf.

Säfte, Nussmischungen und Proteinriegel sollen den Galaxy Mix und die Bifi ersetzen. Eine Marktanalyse der Firma hat wohl ergeben, dass helvetische Snackspezialisten das schlechte Gewissen überkommt.

Das ist höchst bedauerlich. Denn der Automat und sein Angebot sind einer der letzten Nischen, wo schamlos, beinahe vollkommen anonym, konsumiert werden darf: Zucker, Transfette, Schadstoffe. Für ein paar Franken wird der mitternächtliche Heisshunger zweifelhaft gestillt und der Feierabend spitzbuebig belohnt. An diesem Nicht-Ort gibt es kein Kalorienzählen, hier zählt der Impuls.

Nun gut, das mit der Konsumfreiheit stimmt nicht so ganz. Hinter dem niedlichen roten Kasten (total Retro!) steckt ja ein einst international sehr erfolgreiches Börsenunternehmen. Und selbstverständlich weiss eine ernstzunehmende Foodtech-Firma um die «Guilty Pleasures» seiner Kundschaft. Selecta hat sie schnell unter seine Kontrolle gebracht.

Der SB-Automat hat auch sonst sehr viele Vorteile für die Selecta Group: Er benötigt keine Menschen, die abrechnen oder beraten. Das machen wir Nutzerinnen einfach selbst. Wir wählen das, was es gibt; die Maschine erledigt den Rest. Das ist sehr benutzerfreundlich.

Und jetzt also Gemüsesticks und Reiswaffeln, wie es auch der Aargauer Mitte-Politiker Raphael Zimmerli schon einmal forderte: Menschen würden zum ungesunden Snack gezwungen! Zimmerli hat ein Herz für die Gehetzten und Gestandenen am Gleis – er weiss, was gut für sie ist.

Das Selecta-System bewegt, denn es knüpft enge Beziehungen. Zwischen Kundin und Händler, zwischen Bürger und Staatsservice, zwischen Mensch und Maschine. Nur verlaufen die leider nicht immer auf Augenhöhe. Der Trend zur dringend verordneten Crash-Diät scheint derzeit lukrativ. Sie rechnet sich, die Gesundheitsaskese.

Es ist traurig, aber wahr. Frei nach dem kanadischen Medien-Visionär Marshall McLuhan ende ich hier: «Wir gestalten unsere Maschinen, anschliessend gestalten sie uns.»

Radio SRF1, Nachrichten, 3.12.2025, 8:00 Uhr

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