Fadri Ratti hat als erster Mensch alle Dreitausender Berggipfel im Kanton Graubünden bestiegen. Das sind 460 Gipfel. Entgegen dem heutigen Trend zu atemlosen Rekordjagden in den Bergen hat er sich dafür 42 Jahre Zeit gelassen. Entstanden ist die Idee für sein «Lebenswerk» nach einer schweren Krankheit in seiner Jugend.
In den Bergen fühlt sich Fadri Ratti in der Natur aufgehoben und dem Himmel und Gott näher. Er ist reformierter Pfarrer in Felsberg bei Chur im Kanton Graubünden. Da hat er die Berge vor der Haustür.
Zeremonien auf der Alp
Seinen Pfarrberuf verbindet er immer mal wieder mit seiner Bergpassion. Er traut Menschen in den Bergen oder tauft Kinder auf einer Alp. Mit Konfirmanden war er auch schon auf dem Piz Palü auf 3'900 Metern Höhe.
Seit einigen Jahren bietet Fadri Ratti Wanderwochen mit spirituellen Impulsen an. Dieses Jahr ist er mit einer Gruppe im Glarnerland unterwegs.
«Die Natur ist so unendlich intensiv: Die Gerüche, die Blumen, die Sonne, der Weitblick oder eine Umarmung auf dem Gipfel, das sind starke Momente», sagt Fadri Ratti.
Unterwegs auf spirituellen Wegen
«Wandern mit Tiefblicken», nennt Fadri Ratti sein Projekt. Die Gruppe ist auf alpinen Wegen unterwegs. Da wird es auch einmal steil und anstrengend. Die Wanderwege – die äusseren Wege – werden zum Sinnbild für innere Wege und eröffnen neue Perspektiven auf das Leben.
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Bild 1 von 5. Spiritualität und Bergpassion: Rattis Gruppe wandert vom Hirzli zum Planggenstock – auf dem Berggrat. Bildquelle: Fadri Ratti.
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Bild 2 von 5. Die Grösse Gottes und die der Natur: Auf einer weiteren Wanderung führt der Weg zur Glattalp durch ein imposantes Tor. Bildquelle: Fadri Ratti.
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Bild 3 von 5. Spirituelle Einkehr: Bei der Glattalphütte nimmt die Wandergruppe an einem Morgenritual teil. Bildquelle: Fadri Ratti.
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Bild 4 von 5. Himmel und Gott näher sein: Die Wandergruppe läuft ihrem Ziel in Braunwald entgegen – und auch den Wolken. Bildquelle: Fadri Ratti.
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Bild 5 von 5. In den Bergen fühlt sich die Gruppe aufgehoben: Die Stimmung am Längeneggpass ist sehr gut – auch an verregneten Tagen. Bildquelle: Fadri Ratti.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tragen ihren Rucksack eine Woche lang von Hütte zu Hütte und haben meist keinen Handyempfang. Da ist der Trubel des Alltags weit weg. Manche Wege geht die Gruppe im Schweigen. Das Leben reduziert sich.
Wo stehe ich im Leben?
«Beim Wandern muss ich bei mir sein, Schritt für Schritt, im Moment präsent sein», stellt Fadri Ratti fest. Spirituelle Impulse aus der christlichen Tradition oder der Philosophie rücken Fragen in den Mittelpunkt, die im Alltag wenig Platz haben: Wie geht es mir wirklich? Wie atme ich? Wie begegne ich meinem Gegenüber? Wo führt mich mein Lebensweg hin? Die spirituellen Impulse regen zusätzlich zum Nachdenken an.
«Gehen ist für mich Meditation», sagt Margarita Tschudi. Sie ist 72 und seit mehreren Jahren dabei. Die Gruppe ist gemischt, ältere und jüngere Menschen gehören dazu. Fit sind sie alle.
Im Schweigen und als Gruppe unterwegs
Ein anderer Teilnehmer, Heiko Schätzle, stellt fest: «Die Gruppe ist wichtig. Wir unterstützen uns gegenseitig». Mit einem aufmunternden Wort, wenn es anstrengend wird. Oder jemand trägt einen zusätzlichen Rucksack, wenn ein anderer an seine körperlichen Grenzen stösst.
Doch was haben Berge und Wandern mit Spiritualität zu tun? Bei der Spiritualität hält sich Fadri Ratti an die mystische Weisheit: «Willst Du Gott erkennen, erkenne zunächst dich selber.»
In den Bergen berühren sich Himmel und Erde. Hier kommen Wanderwege und Lebenswege zusammen. Und Wandern wird zu einem Weg zur Selbsterkenntnis.