Überall auf dem Boden der grossen Lagerhalle im Zentrum Athens liegen graue Paletten. Darauf sind über 50‘000 Bücher aufgereiht. Von Fachbüchern über Romane, Kinderliteratur und englische oder französische Bücher bis hin zum Antiquariat – hier ist alles zu finden.
Der 70-jährige Leonidas Koursoumis sitzt an seinem Schreibtisch am Ende der Halle und koordiniert Bücherlieferungen aus ganz Griechenland. Immer wieder klingelt sein Telefon.
Noch vor einem Jahr hat er auf der Strasse gelebt. «Man kann hierzulande ganz leicht in die Obdachlosigkeit rutschen», berichtet der hochgewachsene Mann mit den grauen Haaren.
Staatliche Unterstützung gäbe es hier kaum. «Eine Tragödie für ein zivilisiertes Staatssystem!», sagt er und greift erneut zum Hörer, um mit einem weiteren Buchspender zu sprechen.
Vor gut sechs Jahren hat Koursoumis seinen Arbeitsplatz in einem Athener Verlag verloren, für den er über 17 Jahre lang gearbeitet hat. Nach einem Jahr Arbeitslosengeld bekam er keine weitere Unterstützung vom Staat.
Ein neuer Arbeitsplatz war nicht aufzutreiben. Mit Hilfsarbeiten verdiente er sich hier und da etwas dazu. Doch für die Miete reichte es längst nicht. Fast ein Jahr lang lebte der damals über 60-jährige auf der Strasse.
Um sich irgendwie über Wasser zu halten, durchsuchte Koursoumis Mülltonnen nach Büchern, die er auf Flohmärkten verkaufte. So kam ihm die Idee, einen Laden für gebrauchte Bücher zu eröffnen.
Der Stein, der alles ins Rollen brachte
Der Mann startete einen Facebookaufruf. Er wurde 900 Mal geteilt.
Bald berichteten griechische Medien über den Überlebenskämpfer. Ein anonymer Spender stellt ihm unentgeltlich die Lagerhalle zur Verfügung.
Zwei Euro kostet das Buch. Die Menschen kaufen, das Buchgeschäft kann immer besser Fuss fassen.
«Die Leute kommen hierher, um uns zu unterstützen», so Koursoumis. «Es herrscht eine grosse Solidarität im Lande. Jeder weiss, in welch‘ schwierigen Zeiten wir leben.»
Durch das Buchgeschäft konnte Koursoumis sich und zwei weitere Männer aus der Obdachlosigkeit rettet. Doch das Schicksal der drei Männer ist kein Einzelfall.
Vor Ausbruch der Wirtschaftskrise vor etwa zehn Jahren waren unter den Obdachlosen noch weit über die Hälfte Ausländer. Das hat sich in den vergangenen Jahren stark geändert.
Allein im Athener Stadtzentrum wird die Zahl der obdachlosen Griechen auf 1500 geschätzt, weiss Eleni Katsouli, Präsidentin des Aufnahme- und Solidaritätszentrums der Athener Gemeinde. «In den letzten Jahren haben wir festgestellt, dass immer mehr Menschen zu uns kommen, die aus ganz normalen Lebensverhältnissen stammen», so Katsouli.
Genaue Zahlen, wie viele Menschen tatsächlich auf der Strasse leben, gibt es nicht. Die meisten von ihnen melden sich aus Scham nicht in den Einrichtungen. «Auch ich habe mich geschämt, habe nichts gesagt und mich versteckt», berichtet Koursoumis.
Um noch mehr Menschen einen Arbeitsplatz zu verschaffen arbeitet er stetig weiter an seinem Konzept. Ein Kulturzentrum – ausschliesslich von Obdachlosen betrieben – soll entstehen. Auch der Buchladen wird dabei nicht fehlen.