«Arbeitgeber sind Diktaturen inmitten demokratischer Staaten», sagt Elizabeth Anderson, Professorin für Philosophie und Ethik in den USA. «Am Arbeitsplatz verwandeln sich mündige Bürgerinnen und Bürger in machtlose Angestellte, die der Willkürherrschaft von Managern, CEOs, Chefs ausgesetzt sind.»
In ihrem Buch «Private Regierung. Wie Arbeitgeber über unser Leben herrschen und warum wir nicht darüber reden» erläutert sie ihren Gedanken.
Die Arbeitgeber bezeichnet Anderson als «Private Regierungen», die keiner öffentlichen Kontrolle unterliegen. Sie nennt drastische Beispiele aus den USA: Die Supermarktkette Walmart verbiete ihren Mitarbeitern, während der Arbeit kleine Bemerkungen auszutauschen, weil das «Zeitdiebstahl» sei. Apple kontrolliere regelmässig Taschen und Kleidung seiner Angestellten im Verkauf.
Arbeitnehmer beim Rauchen erwischt
Oft regierten Arbeitgeber auch über das Privatleben ihrer Angestellten. Zum Beispiel, wenn Unternehmen betriebseigene Krankenversicherungen anbieten und die Mitarbeiter höhere Beiträge zahlen müssen, wenn sie beim Rauchen erwischt werden oder zu wenig Sport treiben.
Doch Anderson beklagt nicht nur die einseitigen Machtverhältnisse in der Arbeitswelt. Sie fragt, woher diese Arbeitgeber-Diktatoren kommen. Dabei betrachtet sie nicht nur aktuelle Faktoren wie die verbreitete Angst vor Arbeitslosigkeit. Sie sucht nach einer historisch-theoretischen Erklärung und rollt 300 Jahre Wirtschaftsentwicklung auf.
Sie geht zurück bis ins 17. Jahrhundert, als die Wirtschaft vorwiegend aus kleinen Familienunternehmen bestand und der Patron der Herr und Meister im Haus war – das heisst, er herrschte uneingeschränkt über Frau und Kinder aber auch über seine Gesellen, Knechte und Mägde.
Zerstörte Gleichberechtigung
Die Allmachtstellung des Patron sei schon damals manchem sauer aufgestossen. In England, schreibt Anderson, formierten sich frühdemokratische Kräfte, die Levellers, die an einen freien Markt geglaubt haben. Freier Markt, das habe damals die Abwesenheit von Autoritäten, von Hierarchien bedeutet.
Das Ideal war eine Arbeitswelt der Selbstständigen und Kleinstunternehmen, in der jeder ist sein eigener Herr ist und auf Augenhöhe mit den anderen verhandelt.
Auch Adam Smith habe den Begriff des freien Marktes so verstanden, sagt Anderson: Als einen moralischen fairen Handel um Waren und Ressourcen zwischen Menschen, die alle frei sind. Die Industrielle Revolution habe diese Welt der gleichberechtigten Kleinunternehmer zerstört.
Diskussion in Buchform
Diese Sicht auf Adam Smith wirkt überraschend. Gemeinhin gilt der schottische Philosoph als Vordenker des Wirtschaftsliberalismus im heutigen Sinn.
Andersons Vorstoss ist sicher auch etwas zugespitzt, sie möchte schliesslich gehört werden, sie möchte zu Diskussionen anregen. Damit fängt sie in ihrem eigenen Buch gleich an: Sie hat vier Intellektuelle gebeten, kritische Antworten auf ihren Essay zu schreiben. So entsteht eine Diskussion in Buchform.
Ein Diskurs, von dem Elizabeth Anderson hofft, dass er jenseits der Buchdeckel weitergeht. Sie möchte uns zum Sprechen bringen – über unsere Arbeitgeber und darüber, wie sie unsere Leben beherrschen.