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Gesellschaft & Religion Höflich sein ist nicht altmodisch, sondern gesund

Ist es altmodisch, höflich zu sein? Nein! Das sagt der Mediziner und Jurist Rainer Erlinger in seinem jüngsten Buch. Höflichkeit hat etwas mit Respekt zu tun. Vor dem Gegenüber. Und vor sich selbst.

  • Das Wort «Höflichkeit» kommt von den Konventionen an adeligen Höfen.
  • Studien belegen: Mit Höflichkeit lebt es sich friedlicher und gesünder.
  • Rainer Erlinger sagt: Höflichkeit heisst nicht Heuchelei, sondern Ehrlichkeit.

Der Klassiker

Sie erreichen frühmorgens das Bürogebäude. Sie öffnen die Türe und bemerken den Ihnen nicht näher bekannten Arbeitskollegen in etwa 10 Schritten Abstand. Was tun Sie? Innehalten? 4-6 Sekunden warten, bis auch der Kollege die von Ihnen geöffnete Tür erreicht hat und Sie ihm ein Lächeln schenken können?

Stellen Sie sich die gleiche Szene noch mal vor. Nur: Statt dem vage bekannten Kollegen läuft hinter Ihnen in ca. 10 Metern Abstand Ihre Chefin. Was tun Sie?

Wenn Sie in beiden Fällen mit «Klar doch, Türe aufhalten» antworten, sind Sie ein grundsätzlich menschenfreundlicher Zeitgenosse.

Nur Mittel zum Zweck?

Wenn Sie nur im zweiten Fall die Tür aufhalten, sind Sie zumindest höflich. «Höflich» kommt, wie es das Wort verrät, vom richtigen Betragen «bei Hofe». Ein Betragen, gekennzeichnet von der Ehrerbietung gegenüber der Höherstehenden.

Davon abgeleitet verfasste Freiherr von Knigge 1788 ein erstes Standardwerk zum Thema. Dies wohl, um dem aufstrebenden Bürgertum Orientierungshilfe zu geben. Auch die wichtigsten Regeln zur besseren Hygiene liessen sich damit transportieren. Das Werk wurde zum Bestseller schlechthin. Im Kielwasser des «Knigge» wurden zahllose Benimmbücher nachgeschoben – bis heute.

Aber Höflichkeit? Klingt heute irgendwie altbacken und nicht wirklich sexy. Dem flotten Hipster, der kecken Individualistin gilt sie allenfalls als Schmiermittel, um ein Ziel zu erreichen.

Höflich ist gesünder

«Höflichkeit ist eine Tugend. Es lohnt sich, sie zu bewahren.» Das sagt der Arzt und Jurist Rainer Erlinger in seinem jüngsten Buch. Kenntnisreich zeichnet Erlinger den Weg der Höflichkeit durch die Jahrhunderte hindurch nach und schält den eigentlichen Kern dieser Tugend heraus.

Jemandem die Türe aufzuhalten – ganz ohne Hintersinn – heisst, diesen als Menschen wahrnehmen und ihm das auch zu vermitteln. Studien belegen: Mit Höflichkeit lebt es sich friedlicher und gesünder. Unhöfliche Behandlung, zum Beispiel durch Vorgesetzte, löse Stress aus und erhöhe nachweislich das Risiko tödlicher Herzkrankheiten, schreibt Erlinger.

Lügen erlaubt?

Das Geburtstagsgeschenk der Tante – ein Briefbeschwerer aus buntem Glas – ist zwar lieb gemeint, aber leider abscheulich und unnütz. Was tun? Höflichkeit meint auch, den anderen nicht zu besc

Rainer Erlinger

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Rainer Erlinger (geb. 1966) ist Mediziner und Jurist. Nach seinen Tätigkeiten als Arzt und Rechtsanwalt arbeitet er als Publizist auf dem Gebiet der Moral. Im Magazin der Süddeutschen Zeitung erörtert er wöchentlich Gewissensfragen. Sein aktuellstes Buch trägt den Titel: «Höflichkeit – Vom Wert einer wertlosen Tugend».

hämen. Dabei muss nicht zwingend gelogen werden. Man kann auch einfach nur der Freude darüber Ausdruck verleihen, dass die Tante überhaupt an einen gedacht hat.

Allerdings empfiehlt sich, spätestens beim zweiten Briefbeschwerer einzuschreiten und zu klären, dass man dieselben durchaus nicht zu sammeln plane. Höflichkeit ist immer auch Ehrlichkeit. Gegenüber anderen, vor allem aber gegenüber sich selbst. Höflichkeit ist, so Erlinger, ein Zeichen von Respekt.

Im Zweifelsfall lässt sich die alte goldene Regel in Stellung bringen, die da lautet: «Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.» Formulieren Sie das Ganze positiv, und schon haben Sie eine durchaus praktische Faustregel für Höflichkeit. Oder eben: für Menschlichkeit.

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