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Vom Wachstumszwang
Aus Kontext vom 03.06.2019. Bild: SÉBASTIEN THIBAULT / AGOODSON / www.agoodson.com/
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Im Teufelskreis Die Wirtschaft muss wachsen – um jeden Preis?

Wir haben alles, was wir brauchen. Und doch produzieren Industrienationen laufend noch mehr. Die Wirtschaft unterliege einem Wachstumszwang, sagt der Schweizer Ökonom Mathias Binswanger in seinem neuesten Buch.

«Vom Heilsversprechen zur Zwangshandlung», so bezeichnet Mathias Binswanger die Entwicklung des Wirtschaftswachstums. Wirtschaftswachstum generiert Wohlstand. Das habe bisher in reichen Ländern gut funktioniert. Nun würden zunehmend Nachteile sichtbar: Stress oder hohe Umweltbelastung.

Bedürfnisse wecken statt decken

Mathias Binswanger stellt fest, dass wir in eine Art Teufelskreis geraten sind: «Aus einer Ökonomie der Bedürfnisdeckung ist eine Ökonomie der Bedürfnisweckung geworden».

Laufend müssten neue Bedürfnisse geweckt werden, um den Konsum und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Der Automarkt zum Beispiel sei längst gesättigt. Es gehe nur mehr darum, schnellere, schwerere, luxuriösere oder effizientere Autos auf den Markt zu bringen.

Mathias Binswanger

Mathias Binswanger

Ökonom

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Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er war Gastprofessor in Freiberg in Deutschland, an der Qingdao Technological University in China und an der Banking University in Saigon (Vietnam).

Mathias Binswanger ist Autor von zahlreichen Büchern und Artikeln in Fachzeitschriften und in der Presse. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Makroökonomie, Finanzmarkttheorie, Umweltökonomie sowie in der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Glück und Einkommen.

Die Neue Zürcher Zeitung zählte Mathias Binswanger im Jahr 2017 gemessen an ihrem Einfluss in der Öffentlichkeit zu den drei bedeutendsten Ökonomen der Schweiz. Seine Thesen bestechen. Er spricht gerne von den «Tretmühlen des Glücks»: Mehr Wohlstand mache die Menschen in reichen Ländern nicht mehr zufriedener oder glücklicher.

Es gibt andere Modelle

Mathias Binswanger kommt in seiner Analyse zum Schluss: «Wettbewerb gehört zum Kapitalismus wie der Wettkampf zum Sport». Aktiengesellschaften hält er für Wachstumstreiber. Es gebe jedoch kooperative Formen des Wirtschaftens wie Carsharing oder Genossenschaften für Wohnbau oder Energie.

Mathias Binswanger nennt Beispiele von KMU, die ohne Wachstum erfolgreich seien: ein Holzmöbel-Hersteller, eine Brauerei, eine Druckerei oder ein Schuhhändler.

Buchhinweis

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Mathias Binswanger: «Der Wachstumszwang. Warum die Volkswirtschaft immer weiterwachsen muss, selbst wenn wir genug haben», Wiley-VCH Verlag, Berlin 2019

Für seine Kritiker sind das «Sandkastenspiele». Sie entgegnen: Ohne Wachstum keine Innovation, keine Entwicklung, kein Wohlstand. Durch Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen würden Schulen, Gesundheitsvorsorge, Sozialwerke oder die Altersvorsorge finanziert.

Kapitalismus umbauen

Die Stärke des Buches von Mathias Binswanger liegt in der Analyse. Messerscharf seziert er den Zwang zum Wachstum. Er greift ein Unbehagen auf. Viele Menschen spüren: Wir haben eine Grenze erreicht. So geht es nicht weiter, das Streben nach Wachstum und ökologische Ziele lassen sich nicht unter einen Hut bringen.

Wer pfannenfertige Lösungen erwartet, wird enttäuscht. Mathias Binswanger bezeichnet sein Buch als «wachstumsfreundlich und wachstumskritisch». Er regt an, den Wachstumsdrang zu mildern und zeigt auf, wie ein rein kapitalistisches Wirtschaftssystem umgebaut werden könnte. Die generelle Richtung ist klar: Weniger ist mehr.

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