Im Iran beschuldigt eine junge Frau den iranischen Filmstar Pejman Dschamschidi der Vergewaltigung. In einem Interview berichtete die junge Frau von der Vergewaltigung – und davon, dass ihr viel Geld geboten wurde, wenn sie die Strafanzeige zurückziehe. Der Fall dominiert seit zwei Wochen die Schlagzeilen und hat eine landesweite Debatte ausgelöst – über Macht, Misstrauen und das Risiko, darüber zu sprechen.
Statt Empathie für das mutmassliche Opfer zeigen viele Leute im Iran Solidarität mit dem prominenten mutmasslichen Täter. Von Rufmord ist die Rede, von Neid, von Verschwörung. SRF hat mit Iran-Kennerin Mina Khani darüber gesprochen.
SRF: Offenbar gibt es in der iranischen Öffentlichkeit mehr Solidarität mit dem mutmasslichen Täter als mit der jungen Frau. Erstaunt Sie das?
Mina Kahane: Ich muss das erst einmal richtig- und klarstellen. Es gibt beide Seiten. Es gibt die Solidarität mit der betroffenen Frau. Es gibt aber auch eine grosse Kampagne, die den Mann in Schutz nimmt. Diese Kampagne wirkt klar organisiert.
Die, die sich auf die Seite dieser Frau stellen, werden selbst vom System unterdrückt.
Der Unterschied ist, dass die Feministinnen, die sich auf die Seite dieser Frau stellen, selbst vom System unterdrückt werden. Die Kanäle der Revolutionsgarden haben versucht, den Mann freizusprechen, aber auch andere Misogyne – teilweise sogar innerhalb der sogenannten «Opposition». Diese Gruppen schliessen sich in solchen Momenten zusammen.
Wie reagieren die Frauen im Iran auf den Fall Dschamschidi?
Zunächst machte der Fall kaum Schlagzeilen. Öffentlich wurde er erst, weil sich Menschen dafür interessierten. Die staatlichen Medien im Iran haben den Namen erst gar nicht erwähnt. Doch die Indizien waren so eindeutig, dass ein Richter schliesslich anordnete, diesen Mann festzunehmen.
Bereits 2020 erlebte der Iran eine grosse Welle der MeToo-Bewegung.
Der Mann kam dann ins berüchtigte Ghezel-Hesar-Gefängnis, in dem auch viele politische Gefangene einsitzen. So kam schliesslich heraus, dass ein grosser Schauspieler gerade im Gefängnis sitzt. Diese Meldung verbreitete sich dann in den sozialen Medien.
Das heisst, weil die Nachricht in den sozialen Medien kursierte, konnte das Regime den Deckel nicht mehr draufhalten. Werden im Iran internationale MeToo-Fälle wie der von Harvey Weinstein oder die Verbrechen an Gisèle Pelicot in Frankreich wahrgenommen und diskutiert?
Definitiv. Bereits 2020 erlebte der Iran eine grosse Welle der MeToo-Bewegung. Ich war damals selbst aktiv und habe mit zahlreichen Betroffenen gesprochen. In dieser Zeit wurden auch Fälle publik, die iranische Künstler betrafen – darunter einige sehr bekannte Namen.
Es ist wichtig, festzuhalten, dass die Thematisierung sexualisierter Gewalt im persischsprachigen Raum nicht erst mit der weltweiten MeToo-Bewegung begonnen hat. Bereits in den 1980er-Jahren berichteten politische Gefangene – oft erst nach ihrer Flucht ins Exil – darüber, dass sie in iranischen Gefängnissen als Foltermethode vergewaltigt wurden. Später meldeten sich junge iranische Aktivistinnen, darunter auch ich selbst, die lange vor der US-amerikanischen MeToo-Bewegung öffentlich über ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt gesprochen haben.
Das Interview führte Raphael Zehnder.