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Islamismus in der Schweiz «Islamistische Drehscheibe Schweiz»: Aufklärung oder Panikmache?

In ihrem Buch «Islamistische Drehscheibe Schweiz» wirft Saïda Keller-Messahli Behörden und Politikern Naivität im Umgang mit dem Islamismus vor. Islamwissenschaftler Reinhard Schulze findet: «Das Buch neigt dazu, zu skandalisieren.»

In ihrem neuen Buch «Islamistische Drehscheibe Schweiz» nimmt die Autorin Saïda Keller-Messahli die schweizerische Moscheen-Szene unter die Lupe und ortet eine radikale – salafistische – Unterwanderung.

Mitschuld seien naive Behörden und muslimische Verbände, die sich nicht genügend gegen extremistisch-radikale Aktivitäten zur Wehr setzten.

Die Verbände wehren sich. Das Buch arbeite mit spekulativen Konstruktionen und diene vor allem der Angstmacherei – kontert beispielsweise die FIDS, die ebenfalls kritisierte Föderation islamischer Dachorganisationen der Schweiz.

Aufklärung oder Angstmacherei? Reinhard Schulze, langjähriger Islamwissenschaftler der Universität Bern, hat das Buch gelesen.

SRF: Herr Schulze, wie ordnen Sie das Buch ein?

Ein Buch über die salafistische Szene in der Schweiz war sicher notwendig. Es ist wichtig, dass das Thema in der Öffentlichkeit diskutiert wird.

Saïda Keller-Messahli wirft den Behörden Naivität und den Verbänden Blindheit vor: Wie sehen Sie das?

Es gibt bestimmte Einzelfälle, die auch von den Behörden als problematisch angesehen werden – und über manche dieser Einzelfälle wissen manche Behörden sicherlich auch mehr als die journalistische Öffentlichkeit.

Das Problem ist, dass das Buch dazu neigt, die Einzelfälle so zu verallgemeinern, als gäbe es ein grosses salafistisches Netzwerk in der Schweiz und die Einzelfälle stünden exemplarisch dafür da.

Darüber hinaus neigt das Buch dazu, zu skandalisieren und nicht aufzuklären. Aufzuklären hiesse auch, gerecht abzuwägen zwischen sehr spezifischen Einzelfällen und Verallgemeinerungen. Und an dem Punkt ist das Buch leider nicht ganz klar.

Reinhard Schulze im Porträt.
Legende: Ein wichtiges Buch, das Einzelfälle zu sehr verallgemeinert, findet Islamwissenschaftler Reinhard Schulze. Keystone

Saïda Keller-Messahli wirft den Verbänden – speziell der FIDS vor – nicht genau hinzuschauen auf die Aktivitäten hinter den Kulissen. Die FIDS wiederum wirft Saida Keller-Messahli vor, sie würde Realitäten konstruieren, die falsch sind. Beide wollen einen liberalen Islam – warum dann diese Streitereien?

Die grossen Dachverbände sind darauf angewiesen, dass sie eine integrative Funktion haben. Sie müssen einen Teil der muslimischen Öffentlichkeit integrieren, die aus der Perspektive von Frau Keller-Messahli nicht unbedingt integriert werden sollte. Wir würden sie «rechtspopulistische», vielleicht sogar fundamentalistische Kreise der islamischen Szene nennen.

Die Verbände jedoch sind drauf angewiesen, die Reichweite ihrer Organisationen möglichst breit zu halten, um nicht als eine einzelne parteiische Organisation angesehen zu werden. Sie sind gezwungen, plural zu sein. Und diese Pluralität bildet sich denn auch intern ab.

Doch die Verbände müssen irgendwann mal sagen, was denn eigentlich ihre Zugehörigkeitsgrenzen sind: Bis zu welchem Punkt lassen sie noch eine Meinung – auch eine fundamentalistische Meinung – gelten? Und ab welchem Punkt sagen sie, das gehört nicht mehr in das Feld der Organisation.

Da hat es Frau Keller-Messahli einfacher: Sie kann sagen: Dies ist die richtige Interpretation der islamischen Tradition, nur diese ist fortschrittlich und nur diese hat Gültigkeit. Sie ist keine Verbandsvertreterin, die den Integrationsaspekt bespielen muss.

Das Gespräch führte Maya Brändli.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 18.09.2017, 09.00 Uhr.

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