Zugegeben: Seitdem ich Mutter bin, gehören Sprachnachrichten zu meinem Alltag. Eine Hand am Kind, die andere am Lavabo, bleibt keine übrig, um zu tippen. Falls überhaupt, kann ich meiner besten Freundin noch zuhören. So lange, bis das Kind quengelt. Dann auf Stopp drücken und in der nächsten ruhigen Minute weiterhören oder zurückmonologisieren.
Weniger Zeitdruck, mehr Nähe
Ein solches Gespräch kann sich locker über Tage hinziehen. Über Wochen. Oder befinden wir uns seit Jahren durchgehend im Gespräch? Die Form der Sprachnachricht entbindet uns beide jedenfalls vom Zeitdruck, der unseren Alltag als Kleinkindmamas sonst bestimmt.
Aus anderen Kommunikationsformen, zum Beispiel Podcasts, wissen wir, dass einseitige Audiosprachnachrichten trotzdem sehr viel Nähe und Intimität erzeugen können. Man spreche im Audiobereich von parasozialen Beziehungen, sagt Kommunikationswissenschaftler Marko Kovic: «Heute leben wir alle hektische Leben und viele Menschen schätzen diese Art von Kontakt. Weil das besser ist, als kein Kontakt mehr.»
Tatsächlich zeigen die Zahlen, wie sehr diese Form des Austausches zugenommen hat. Innerhalb von nur zehn Jahren hat sich die Sprachnachricht vom Randphänomen zu einem Hauptkommunikationsmittel entwickelt.
Notizen zur zehnminütigen Nachricht
Über 80 Prozent der Schweizer Bevölkerung nutzen laut Statista Whatsapp. Sprachnachrichten scheinen dabei tatsächlich eher Frauensache zu sein. 86 Prozent der Mädchen und nur 61 Prozent der männlichen Jugendlichen verschicken mehrmals in der Woche Sprachnachrichten, wie eine Studie von 2020 zeigte .
Aber neben Datenschutzfragen, die wir jungen Mütter schlafmangelbedingt schlicht ausser Acht lassen, stellen sich auch Fragen der Praktikabilität. Zumindest, wenn man oder frau nicht gerade ein zappelndes Kleinkind auf dem Arm hält.
Ein Kollege erzählt, dass sich seine Freundin beim Abhören der Zehn-Minuten-Nachrichten sogar Stichwörter macht, um bei deren Beantwortung auf alle genannten Themen einzugehen. Wäre es nicht einfacher, gleich eine Textnachricht zu schreiben?
Jein, sagt der Kommunikationswissenschaftler. Zwar sei die Sprachnachricht in Sachen Informationsvermittlung nicht sehr effizient. Sie falle aber vor allem jungen Menschen zunehmend leichter, weil der Stress eines Livegesprächs wegfalle.
Die Angst vor Anrufen
Kovic spricht von einer zunehmenden Nervosität vor Telefongesprächen. Vor allem jüngere Menschen berichteten vom Gefühl, bei einem Telefonat käme ein Druck auf. Eine Angst, sich zu exponieren oder etwas Blödes zu sagen. Bei Sprachnachrichten habe man mehr Kontrolle. Man könne seine «Performance» besser selbst kontrollieren und notfalls wieder löschen.
Bei meiner Freundin und mir geht es keinesfalls um Kontrolle. Im Gegenteil. Unsere Sprachnachrichten sind authentische Momentaufnahmen, überschäumend und stagnierend, bruchstückhafte Einblicke ins Leben der Anderen. Mini-Portionen Du.
Sollte uns das Drauflosplappern aber doch irgendwann auf die Nerven gehen, steht schon die nächste Neuerung an. Whatsapp will künftig ein Feature anbieten, das Gesprochenes in geschriebenen Text umwandelt. Zurück in die Zukunft also.