Beim Gespräch in der bulgarischen Hauptstadt Sofia letzten Herbst träumte die 20-jährige Teodora Ràdeva von einer eigenen Wohnung. Der Traum, meinte sie damals, werde aber aus finanziellen Gründen kaum in Erfüllung gehen, da neben dem Studium keine Zeit zum Arbeiten bleibe.
Nun hat sich der Traum doch erfüllt: Soeben hat Teodora, die inzwischen passabel Englisch spricht, mit ihrer Schwester eine Wohnung bezogen: «Die Hälfte der Miete bezahlen uns die Eltern. Für die andere Hälfte müssen wir Frauen selber aufkommen. Eine Teilzeitarbeit habe ich zwar nicht gefunden – das ist in Bulgarien fast ein Ding der Unmöglichkeit – aber ich habe einen Coiffeur-Kurs absolviert und schneide jetzt in der Freizeit Freunden und Bekannten die Haare.»
Ausland als einzige Perspektive
Dabei kommt zwar nicht viel zusammen, aber immerhin. Die Hoffnung auf einen Nebenjob hat sie noch nicht aufgegeben – am liebsten würde sie als Aushilfe in einem richtigen Coiffeur-Salon arbeiten. Doch die Hauptaufmerksamkeit der 20-Jährigen gilt ohnehin dem Studium Computer-Technologie an der Technischen Universität in Sofia.
Das Fach biete gute Zukunftsperspektiven und sei interessant, meint Teodora. Nun hat sie das erste Jahr absolviert – als eine von nur fünf Frauen ihres Jahrgangs. Sie will das Studium bis zum Abschluss durchziehen – hat also noch drei Jahre vor sich. Denn ohne ein Papier in den Händen und ohne Berufsperspektiven könne sie ihrer Familie keine Hilfe sein.
Viele junge Bulgarinnen und Bulgaren müssen ihr Land verlassen, um eine Perspektive zu haben. Gut ein Drittel der jungen Menschen sind ohne Beschäftigung, die Aussichten daheim sind nicht gut. Bulgarien hat in den letzten 25 Jahren einen regelrechten Bevölkerungsschwund hinnehmen müssen. Die Einwohnerzahl sank von 9 auf noch etwa 7,5 Millionen. Vor allem die Generation der 25- bis 50-Jährigen fehlt. Wären nicht auch viele Junge ausgewandert, sähe die Abeitslosenstatistik noch düsterer aus.
Unsere Träume leben, nicht andere
Für Teodora kam es aber nicht in Frage, ins Ausland zu gehen. «Wenn ich nicht zuhause bin, fehlt mir etwas. Ausserdem will ich am Aufbau des Landes mitarbeiten. Sonst leben hier nur noch alte Leute. Aber natürlich werde ich schauen, was hier in Zukunft passiert», sagt die Studentin.
Und in Bulgarien passiert derzeit viel: das Land ist politisch im Umbruch, seit Monaten wird täglich gegen die Regierung demonstriert, die Menschen haben genug von Misswirtschaft und Korruption. Teodora beteiligt sich nicht an den Kundgebungen. Im Sommer habe sie ohnehin keine Zeit gehabt, da ihr Freund, der sonst in Deutschland studiert, zuhause war.
Für sich und alle ihre Altersgenossen in Europa wünscht sich Teodora für die Zukunft, dass ihre Träume in Erfüllung gehen und sie nicht nach den Vorstellungen anderer leben müssen: «Wir sollten unsere eigene Träume leben können – und nicht die unserer Eltern.»