Wenn die Krise in Griechenland eine Krise der Werte ist, dann muss man ihr eben andere, neue Werte entgegensetzen. Das ist die Meinung von Vaggelis Tantis, und mit diesem Konzept hat er sich bisher über die schwierigen Zeiten in seiner Heimat gerettet. Im täglichen Leben arbeitet der 32-Jährige als Spanisch-Lehrer.
Vor zwei Jahren hatte er aber die Idee, zusätzlich dazu ehrenamtlich kostenlosen Unterricht im Viertel anzubieten. Sein finanzielles Problem löst er damit nicht, aber ihm sei es wichtig gewesen zu zeigen, dass die Krise keine Sackgasse ist, so der 32-Jährige. Er hat auch andere Lehrer mobilisiert, und obwohl die Löhne in Griechenland den vergangenen Jahren stark gesunken sind und viele Menschen Existenzprobleme haben, ist das Interesse, ohne Entgelt zu unterrichten, gross.
Die Krise als Katalysator
60 Lehrer haben sich vergangene Saison gemeldet. Wenn sie mehr Räume hätten, würden sie ihr Angebot ausweiten, sagt der umtriebige junge Mann. «Vor der Krise wären wir gar nicht auf die Idee gekommen, unsere Kenntnisse umsonst weiter zu geben. So gesehen ist die Krise ein Katalysator. Sie macht, dass wir unsere Werte neu überdenken. Und dass wir neu entscheiden, was wirklich zählt im Leben und was nicht.» Über 20 Kurse wird es heuer geben, Deutsch, Französisch, Spanisch, ausserdem kreatives Schreiben, Turnen, Literatur und – in der Krise ebenfalls ganz wichtig: Fahrradreparatur.
Vaggelis Tantis sitzt im Kulturzentrum Politeia: eine ehemals heruntergekommene Erdgeschosswohnung, die sie in Gemeinschaftsarbeit und mit viel Liebe wieder hergerichtet haben und wo seit letztem Winter der Unterricht in freundlichem Ambiente stattfindet.
Dem Kollektiv etwas zurück geben
Letztes Jahr hat die Lehrergemeinschaft die Idee der kostenlosen Kurse ausgebaut. Wer mitmacht, fanden sie, soll dem Kollektiv auch etwas zurück geben. Nicht alle Lehrer waren mit diesem Konzept einverstanden, man könne Solidarität nicht verordnen, lautete die Kritik, doch am Ende haben sie es ausprobiert. Und es hat funktioniert. Teilweise zumindest, meint Vaggelis Tantis: «Wir hatten zwischen 150 und 170 Schüler in den Kursen. Und etwa 30 davon haben das Konzept verstanden und haben sich engagiert. Erst habe ich mir gedacht, naja, 30 von 170. Aber eigentlich ist das gar nicht so wenig. Wenn man überlegt, dass ich vor zwei Jahren ganz alleine war, dann ist das doch schon etwas».
Derzeit ist noch Sommerpause in der Politeia, doch während der Saison gibt es hier zahlreiche Aktivitäten. «Im Deutschkurs zum Beispiel waren ein paar Schauspieler. Sie haben ein Theaterstück auf die Beine gestellt, das im Winter wochenlang mit viel Erfolg gelaufen ist. Später hat es sogar einen Preis auf einem Festival gewonnen», sagt Vaggelis Tantis, sichtlich stolz.
Er schaut durch die Flügeltür auf den Park gegenüber, der nun, in der Nacht, still und ruhig da liegt. Es ist nicht irgendein Park, sondern der Ort, an dem sich die Akademie des Platon befand. Heute ist der Park schändlich vernachlässigt und von einem pharaonischen Bauprojekt bedroht. Als die Anwohner eine Widerstandsveranstaltung organisiert haben, haben auch viele Kursteilnehmer mit geholfen, obwohl sie teils weit weg wohnen – über deren Hilfe hat sich Vaggelis besonders gefreut.
Hoffnung auf Wandel ist berechtigt
Vaggelis Tantis dreht sich um und greift nach einer CD. Er spielt in einer Band. Ein weiteres Talent des 32-Jährigen und ein weiteres Ventil. Seine Musik, seine Freunde, Kreativität und Gemeinschaft, das sind Dinge, die in der Krise noch wichtiger geworden sind für ihn. Die Option auszuwandern hält er sich offen, aber eigentlich möchte er bleiben und dazu beitragen, dass sich die Dinge in Griechenland zum besseren verändern.
Die Hoffnung auf Wandel, findet er, ist berechtigt. «Ich sage nicht, dass es eine immense Veränderung gibt und dass plötzlich alle an ihren Nächsten denken, aber kleine Schritte sehe ich schon. Manchmal frage ich mich, was würde passieren, wenn sich die Wirtschaft wieder erholen würde. Und ich glaube, viele wären weiter solidarisch, denn es gibt dem Leben einfach einen Sinn».