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Gesellschaft & Religion Kein Raum für Debatte: In Ägypten schwinden politische Salons

Ägypten war einst berühmt für seine Intellektuellen-Cafés, wo sich Schriftsteller, Politiker und Künstler zur Debatte trafen. Seit Abdel Fattah Al Sisi Präsident ist, sind solche Salons rar und werden von Spitzeln überwacht. Ein Besuch in einem der letzten politischen Salons, dem Merit.

Halb zwölf Uhr nachts, Kairo Downtown. Im Büro von Mohammad Hashem ist es noch recht leer. Es ist zu früh für Kairoer Verhältnisse. Gerade einmal drei Gäste sitzen auf den schwarzen Holzkisten, die mit Kissen als improvisierte Sofas dienen. Dichter Zigarettenqualm hängt in der Luft, alle hier rauchen Kette. Draussen sind noch immer fast 30 Grad. Die Ventilatoren an der hohen Decke kühlen nur wenig ab.

Ein Buchverlag, der auch ein Café ist

Ein Freund mit seiner Laute ist vorbeigekommen. Eigentlich ist er auf dem Weg zu einem Konzert, wollte aber vorher noch einen Abstecher zu Hashem machen, wie sie ihn hier alle nennen.

«Spiel doch noch ein bisschen was für uns, mein Freund.» Hashem sitzt hinter seinem Schreibtisch, auf dem sich die Bücher meterhoch stapeln. Er hat sie alle selbst herausgegeben, in seinem Verlag Merit. Er schenkt jedem ein Glas Tequila ein. Ein Freund hat ihn von einer Reise mitgebracht. Die Männer prosten sich zu und starren auf den kleinen Fernseher in der Ecke des Raumes. Normalerweise läuft Fussball, heute eine ägyptische Serie.

Hier darf man noch sagen, was man will

«Ich komme schon sehr lange zu Hashem», erzählt Zakaryja Ibrahim. Der ältere Herr mit weissem Schnauzbart und schütterem Haar organisiert Folklore-Festivals in Kairo. «Vor der Revolution bin ich gekommen, weil es hier immer Whiskey gab und man hier kiffen konnte.» Die Männer in der Runde lachen. «Hey, pass auf, was du sagst», warnt einer. «Ach, ist doch egal, ich bin auch bereit, das dem Innenminister persönlich zu sagen.»

Einer der Gäste klopft Ibrahim lachend auf die Schulter. Butcher, ein kleiner, weisser Hund mit zerzaustem Fell, bellt in die Runde. «Und weil man hier schon immer sagen konnte, was man wollte. Es war ja nicht immer so frei wie während der Revolution.»

«Die ganze Revolution ist ein Traum»

Die Revolution ist jeden Tag Thema im Merit. Die wenigen Monate im Jahr 201, als das ganze Land ein politischer Salon zu sein schien. Als die Debatten plötzlich auf die Plätze des Landes getragen wurden und jeder teilhaben konnte.

Im Vorzimmer hängt ein grosses Plakat mit hunderten Unterschriften. Alle von jungen Ägyptern, die sich während der Tage der Massenproteste auf dem nur wenige Meter entfernten Tahrir hier ausruhen konnten. Einige von ihnen haben die Revolution nicht überlebt. Hashem treibt es die Tränen in die Augen, wenn er davon erzählt. «Die ganze Revolution ist ein Traum. Dass die Menschen in Würde leben. In einem Land, nicht auf einer Müllhalde.» Hashems Gäste nicken. Die Revolution ist Geschichte. Und Merit ist der einzige politische Salon, der noch geblieben ist.

Es gibt nicht mehr viele Plätze, an denen man seine Meinung offen äussern kann. Vor allem nicht, wenn sie regierungs- oder religionskritisch ist. «Eigentlich kann ich das nur noch in der Zentrale der Partei, in der ich Mitglied bin, machen», sagt Ibrahim. «Und eben hier im Merit.»

Unabhängig und ungläubig

Hashem nickt anerkennend, hebt sein Glas und legt die linke Hand wie zum Dank auf seine Brust. Er ist dünn. Seine Wangen sind eingefallen. Er hat dutzende Hungerstreiks gestartet für die politischen Häftlinge im Land. Erfolglos, aber immerhin hat er das Gefühl, etwas getan zu haben. Hashem steht eigentlich immer kurz vor der Pleite, weil er sich weigert, Geld von Sponsoren anzunehmen. Er will unabhängig bleiben.

So hält er es auch mit der Religion. Eigentlich glaubt keiner seiner Gäste an Gott. Das öffentlich zu äussern, ist gefährlich im Ägypten von Abdel Fattah Al Sisi. Einige, die sich etwa auf Facebook als Atheisten bezeichnet haben, sitzen jetzt im Gefängnis.

Hashem interessiert es nicht, welche Hautfarbe seine Gäste haben, auch ihre sexuelle Orientierung spielt keine Rolle. In einem Land, in dem Schwule wie Tiere gejagt werden, ist das fast schon revolutionär. «Es geht nicht, dass einer kommt und sagt, er mag Literatur, aber sich dann mit jemandem hier streitet. Hier kennt jeder jeden, jeder vertraut jedem», sagt Hashem und zündet sich eine Zigarette an.

Es ist mittlerweile fast drei Uhr nachts. Das Merit hat sich gefüllt. Es klingelt an der Tür. Ramy Yehia kommt vorbei. Hashem begrüsst ihn freudig, sie küssen sich rechts und links auf die Wange. Hashem bietet Yehia ein Bier an. Ramy Yehia ist Dichter, er ist schwarz und er schreibt über Religion. Eine schwierige Mischung in Ägypten. Hashem war der einzige, der seine Gedichte herausgeben wollte.

Der Terror des IS ist auch in Kairo angekommen

Yehia tippt sich auf seinem Smartphone durch Facebook. Er stolpert über einen interessanten Eintrag. «Hashem, hör mal, eine Freundin schreibt: ‹Ich habe gestern eine Unterhaltung in einem Laden gehört. Der eine sagte: Die vom IS haben vier geköpft.›» Jetzt sind auch alle anderen Gäste ganz Ohr. Der Terror des Islamischen Staats ist auch in Kairo angekommen, seit der Generalstaatsanwalt im Juni dieses Jahres in die Luft gejagt wurde.

Yehia liest weiter vor: «‹Er fuhr fort: Die vom IS haben eigentlich gute Ziele, aber die Umsetzung ist falsch. Sie wollen alle Nicht-Muslime vernichten. Und das ist eigentlich halal. Aber sie übertreiben es ein bisschen. Der zweite Mann antwortet: Das stimmt. Das sind echte Gläubige, aber ein bisschen extremistisch.›» Die Männer schweigen. Auf solche Unterhaltungen wissen auch sie keine Antworten mehr. Sie wundern sich nur, in welche Richtung sich Ägypten in diesen Tagen verirrt.

Die Männer sind müde. Sie lehnen sich zurück, ziehen an ihren Zigaretten, prosten sich noch einmal zu und Hashem motiviert den Musiker: «Spiel doch noch ein bisschen was für uns, mein Freund.»

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 22.09.2015, 16:45 Uhr

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