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Kirche in der Krise «Es rumpelt. Es muss rumpeln!»

Die römisch-katholische Kirche hat so viele Mitglieder wie noch nie – doch gleichzeitig steckt sie in der Krise.

Drei Millionen: Die römisch-katholische Kirche der Schweiz hat so viele Mitglieder wie noch nie.

«Die katholische Kirche gehört zu den mitgliederstabilsten grossen Institutionen des Landes», kommentiert der Theologe Arnd Bünker die Zahlen. Er leitet das Schweizerische Pastoralsoziologische Institut SPI, das die Kirchenstatistik erstellt.

Migration prägt die Kirche

Wie kommt es zum Rekord? «Die katholische Kirche profitiert sehr stark von der Migration», sagt die Religionswissenschaftlerin Eva Baumann-Neuhaus vom SPI.

Eine Frau sitzt lächelnd an einem Schreibtisch.
Legende: Migranten sind für die Kirchen essentiell, sagt Eva Baumann-Neuhaus, Projektleiterin am SPI. Anastasia Kontoulis Delogu

Menschen mit Migrationshintergrund sind mehrheitlich katholisch. 38 Prozent der Katholiken der Schweiz haben Migrationshintergrund.

Die reformierte Kirche der Schweiz hingegen ist seit den 1970er-Jahren um rund die Hälfte geschrumpft. Sie kann weit weniger von der Zuwanderung profitieren. Nur rund sieben Prozent ihrer Mitglieder haben einen Migrationshintergrund. Reformierte Zuwanderer organisieren sich zudem in eigenen Migrationskirchen.

Nicht mal jeder Hunderste tritt aus

Vor Kurzem sind sechs prominente Schweizerinnen medienwirksam aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten. Eine umstrittene Äusserung von Papst Franziskus zum Thema Abtreibung hat das Fass zum Überlaufen gebracht.

Insgesamt jedoch ist die Austrittsneigung gering. Weniger als ein Prozent der Mitglieder haben 2017 ihren Austritt aus der römisch-katholischen Kirche der Schweiz erklärt.

Was hält die Gläubigen in der Kirche? Die Forscher nennen als Motive: Familientradition, die Gemeinschaft in den Pfarreien, die Solidarität der Kirche mit Menschen am Rand der Gesellschaft und die Kirche als Player für gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Weniger Hochzeiten, weniger Taufen

In absoluten Zahlen sind die Mitgliederzahlen überwältigend. In relativen Zahlen zeigt sich, dass auch die katholische Kirche seit den 1960er-Jahren schrumpft.

Gleichzeitig wenden sich die Gläubigen innerlich von der Kirche ab. In den letzten 20 Jahren haben etwa die Trauungen um die Hälfte, die Taufen von Kindern um ein Drittel abgenommen. Alleine zwischen 2011 und 2017 nahmen Eheschliessungen in den Landeskirchen um 13 Prozent ab.

Damit droht der Kirche ein Traditionsabbruch. Der Glaube wird nicht mehr selbstverständlich an die nächste Generation weitergegeben.

«Die Kirche wird sich verändern»

«Die Institution Kirche, wie wir sie kennen, wird verschwinden», folgert Theologe Arnd Bünker. Das mache ihm aber keine Sorgen: «Die Kirche wird neue Formen finden. Wenn sich die Welt verändert, muss sich auch die Kirche verändern.»

Ein Mann mit Brille spricht und gestikuliert vor einem pastellfarbenen Gemälde.
Legende: Die Kirche wird sich verändern, die Institution verschwinden, glaubt SPI-Leiter Arnd Bünker. Anastasia Kontoulis Delogu

Eva Baumann-Neuhaus pflichtet bei: «Es rumpelt. Es muss rumpeln! So wird es grössere Vielfalt geben.» Für sie ist die Grosskirche nur eine Variante von Kirche.

Was sie erstaunt, ist die Beharrlichkeit in der Kirche. «Wieso ist der Gottesdienst so zentral, wenn keiner mehr kommt?», fragt Baumann-Neuhaus: «Wenn die Leute in den Bänken über 60, 70 Jahre alt sind, die junge Generation fehlt und in 20 Jahren vielleicht keiner mehr dasitzt?»

Die Kirche kommt zu den Menschen

Die Krise der Kirche ist für Arnd Bünker unbestritten. Wenn es um ihre Zukunft geht, sieht er Orientierungslosigkeit. Aber auch Kreativität.

Neue Aufbrüche sind beispielsweise Pilgerreisen, Orte der Ruhe oder sogenannte «Fresh Expressions»: Kirchen in Einkaufszentren, Cafés oder Bars mit Coworking-Plätzen.

Da steht nicht unbedingt Kirche drauf. Aber es ist Kirche drin.

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