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Kolonialverbrechen Wie deutsche Ärzte in Afrika mit Menschen experimentierten

Bis 1960 wurden Menschen in Afrika für Medikamenten-Tests missbraucht – vor allem von deutschen Ärzten. Bis heute wurde niemand zur Rechenschaft gezogen.

2012 wurden in dem Dorf Gouro im Tschad rund 500 Kinder gegen Meningitis geimpft. 106 von ihnen wurden daraufhin laut dem Einwohner Ahmat Hassan krank, 40 von ihnen schwer. Er spricht von einem Impfskandal, hat aber keine Beweise: Keiner der Verantwortlichen ging dem Vorfall auf den Grund.

Seitdem ist das Vertrauen in Pharmakonzerne, internationale Geldgeber und die tschadische Regierung verloren. Die Liste der möglichen Fälle medizinischer Ausbeutung in den ehemaligen Kolonien ist lang. Viele Menschen haben den Eindruck, ein Spielball der Mächtigen zu sein.

Die Wurzeln dieses Misstrauens liegen tief. Bis 1960 haben Ärzte aus Europa Menschen in Afrika zu Forschungszwecken missbraucht – und erzielten so ihr Renommé.

Junge Schwarze mit älteren weissen Männern, die Tropenhelme in der Hand halten.
Legende: Experimentierte in Afrika: Der spätere Nobelpreisträger Robert Koch (ganz rechts), hier zu sehen auf einer Forschungsreise. Getty Images / Ullstein Bild

Treiber der Kolonialisierung

«Am meisten hat mich überrascht, dass es vielen Ärzten nicht so sehr um die Verbesserung der Lebensbedingungen ging, sondern in die Forschung einzusteigen und Medikamente an der kolonialen Peripherie auszuprobieren», sagt Professor Wolfgang Eckart, ehemaliger Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universität Heidelberg.

Ihm zufolge spielte die Medizin bei der Kolonialisierung Afrikas eine Schlüsselrolle. Ohne Fortschritte beim Kampf gegen die Malaria hätte Afrika nie erkundet und ausgebeutet werden können. Die renommiertesten Tropenmediziner kamen damals aus Deutschland. Allen voran: Nobelpreisträger Robert Koch.

Konzentrationslager für Kranke

1906 zog er für zwei Jahre auf die Sese-Inseln im Viktoriasee. Dort fand er einen Herd für die Schlafkrankheit, die in wenigen Jahren eine Viertelmillion Menschen im heutigen Uganda dahingerafft hatte und das Land in eine Krise zu stürzen drohte. Koch isolierte vermeintlich Kranke in rudimentären Konzentrationslagern.

Als Medikament testete er das arsenhaltige Mittel Atoxyl. Dass es in hoher Dosierung giftig ist, war bekannt. Trotzdem erhöhte er die Dosis schrittweise, spritzte in Intervallen von sieben bis zehn Tagen und nahm Schmerzen, Erblindung und den Tod tausender Menschen billigend in Kauf.

Experimente in Gefangenschaft

«Diese Experimente wurden in Deutschland an Tieren durchgeführt, an Menschen waren sie verboten», sagt Edna Bonhomme vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. «In Afrika hat Koch aber Menschen als Forschungssubjekte benutzt, auf eine Art, in der es in Deutschland nie erlaubt gewesen wäre.»

Die Kolonialmedizin sollte nicht Menschen in Not helfen. Sie diente dem ökonomischen Aufschwung der Kolonie – und neuen Erkenntnissen für die deutsche Wissenschaft und Pharmaindustrie. Deshalb haben die Kolonialärzte den Menschen in Gefangenschaft auch ohne Grund schmerzhafte Öl- und Salzlösungen gespritzt.

Klage abgelehnt

Jahrzehntelang verbargen sich diese Horrorgeschichten hinter den Verbrechen des Naziregimes in den KZs. Derweil haben deutsche Ärzte an Afrikanern erprobt, was sie später an Juden, Homosexuellen und politischen Gegnern perfektionierten – ohne, dass sie jemals zu Rechenschaft gezogen wären.

Die einzigen Nachkommen von Opfern von Menschenexperimenten, die jemals vor Gericht zogen, sind die traditionellen Führer der Herero und Nama aus Namibia. 2017 verklagten sie Deutschland in den USA. Das US-Gericht lehnte die Klage 2019 ab.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Wissenschaftsmagazin, 30.1.2021, 12:40 Uhr

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