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Erbe der Kolonialgeschichte «Deutschland will keine Büchse der Pandora aufmachen»

Eine Delegation aus Namibia, angeführt von der namibischen Kulturministerin Katrina Hanse-Himarwa, nimmt am Mittwoch Schädel und weitere menschliche Überreste der Stämme Herero und Nama aus deutschem Besitz entgegen. Die Gebeine stammen aus der Zeit der deutschen Kolonialherrschaft im damaligen Deutsch-Südwestafrika. Was dies für die Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte der beiden Staaten bedeutet, erklärt der Afrikanist Henning Melber im Gespräch mit SRF.

Henning Melber

Spezialist für Namibia

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Melber lebte als Sohn deutscher Einwanderer in Namibia. Er studierte Politologie und war Forschungsdirektor am Afrikainstitut in Uppsala in Schweden sowie ausserordentlicher Professor an zwei Universitäten in Südafrika.

SRF News: Wie wichtig ist der heutige Tag in der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte Deutschlands?

Henning Melber: Das ist ein eminent wichtiger, symbolischer Akt, der aber darüber hinaus auch eine direkte politische und möglicherweise auch eine materielle Bedeutung hat.

Seit 2014 ist die deutsche Regierung im Dialog über die Aufarbeitung der deutschen Kolonialverbrechen. Von aussen hat man die den Eindruck, man komme nicht so recht voran.

Das stimmt, die Verhandlungen treten auf der Stelle. Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist es ein sehr sensibler Aspekt, denn die deutsche Regierung ist sichtlich darum bemüht, keine Büchse der Pandora aufzumachen.

Die Anerkennung eines Völkermordes in der Kolonialzeit wäre ein Präzedenzfall von weitreichender Bedeutung.

Denn Kolonialgräuel als Völkermord anzuerkennen und damit nicht nur eine Entschuldigung, sondern möglicherweise auch Reparationen leisten zu müssen, wäre zwar von deutscher Seite finanziell vermutlich durchaus verkraftbar, aber es wäre ein Präzedenzfall von weitreichender Bedeutung. Er würde nämlich alle anderen früheren Kolonialmächte betreffen. Ich kann mir gut vorstellen, dass hinter verschlossenen Türen in Brüssel auf der Ebene der Aussenminister deutliche Worte gefallen sind, nach dem Motto «wehe, ihr wagt es, das anzuerkennen».

Was war Deutsch-Südwestafrika überhaupt?

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Das heutige Namibia war von 1884 bis 1915 eine deutsche Kolonie (auch deutsches Schutzgebiet genannt). Es war ungefähr anderthalb mal so gross wie das damalige Deutsche Kaiserreich. Deutsch-Südwestafrika war die einzige der deutschen Kolonien, in der sich viele deutsche Siedler niederliessen. Die Kolonialisten verübten an den Stämmen der einheimischen Hereros und Nama Gräueltaten, sie töteten zwischen 1904 und 1908 Zehntausende.

Hat die deutsche Regierung nicht schon zugegeben, dass es ein Völkermord war?

Sie hat es in einer sehr informellen Form, nämlich anlässlich einer Pressekonferenz des Auswärtigen Amtes im August 2014, zugegeben. Es war damals so, dass der Pressesprecher auf mehrere hartnäckige Rückfragen geantwortet hat und gesagt hat: «Wenn Sie es Völkermord nennen wollen, dann nennen sie es so.» Es hat seither keine andere Form der offiziellen Bestätigung des Begriffs gegeben. In den letzten paar Monaten war deutlich zu erkennen, dass die deutsche Seite in den Verhandlungen bemüht ist, von dem Begriff «Völkermord» Abstand zu nehmen und ihn wieder durch den Begriff «Gräueltat» zu ersetzen.

Die deutsche Regierung weigert sich bis dato, sich zu entschuldigen. Sie weigert sich, auch Reparationszahlungen zu leisten. Wie lange kann sie das noch herauszögern?

Ich fürchte, nicht mehr sehr lange. Denn je länger sie es herauszögert, desto kürzer wird die Geduld auf namibischer Seite. Auch die namibische Regierung gerät zunehmend unter Druck und erhöht ihre Forderungen. Die deutsche Regierung wäre sehr gut beraten, schnellstmöglich ein versöhnliches Ende dieser Verhandlungen zu finden.

Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.

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