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Konsumgeschichte Seit wann werfen wir so viel weg?

Der Technikhistoriker Wolfgang König ergründet in einem Buch die Kehrseite des Konsums historisch – und skizziert Lösungsansätze.

«Ich besitze so gern neue Kleider … Alte Sachen sind ekelhaft … Alte Sachen werfen wir weg.» So klingt eine der Verhaltensregeln, die in Aldous Huxleys Roman «Schöne Neue Welt» den Kindern im Schlaf eingeflüstert werden, um ihnen die Konsumpflicht einzutrichtern.

Wolfgang König, emeritierter Professor für Technikgeschichte an der TU Berlin, erwähnt dieses Beispiel. Es soll illustrieren, wie sich der Westen seit den 1930er-Jahren in den USA und in 1960er-Jahren in Westeuropa zu einer Konsum- und Wegwerfgesellschaft entwickelt hat.

Wer reich ist, wirft weg

Die Abfallmenge zeigt den Wohlstand an: Wo man es sich leisten kann, wird gekauft – und weggeworfen. Wo Mangel herrscht, wird mehr repariert. Wie einst auch bei uns.

Sprunghaft gewachsen ist die Müllmenge in Westeuropa nach dem 2. Weltkrieg. Abfall wurde nicht mehr zuhause im Ofen verbrannt, weil sich die ölbetriebene Zentralheizung durchsetzte.

Buchhinweis

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Wolfgang König: «Geschichte der Wegwerfgesellschaft. Die Kehrseite des Konsums». Franz Steiner Verlag, 2020.

Die Zusammensetzung des Weggeworfenen veränderte sich: mehr Verpackungsmaterialien, zunehmend aus Plastik – und Biomüll, also Lebensmittel und Rüstabfälle. Diese Komponenten machen seither den Hauptteil der Haushaltabfälle aus.

Die Verantwortung der Bevölkerung

«Food Waste» bildet ein Drittel des privaten Mülls, 40 bis 70 Prozent der weggeworfenen Lebensmittel stammen aus den Haushalten. Handys werden durchschnittlich nach zwei Jahren entsorgt, schreibt König. Und das, obwohl 70 Prozent davon noch funktionieren.

Privatpersonen stehen daher in der Verantwortung. Und diese können Konsumentinnen und Konsumenten auf vielerlei Weise wahrnehmen.

Sie können Gegenstände länger nutzen und nicht mehr Benötigtes rezyklieren. Sie können Geräte mit besserer Energie- und Rohstoffbilanz erwerben. Sie können Gebrauchtwaren kaufen, Autos, Skiausrüstung oder Bohrmaschinen teilen oder mieten sowie weniger und qualitativ hochwertiger konsumieren und so die Abfallmenge senken.

Die Verantwortung von Firmen und Behörden

In der Pflicht stehen auch die Unternehmen, etwa Fast-Food-Ketten und der Internethandel, der Unmengen von Verpackungsmüll verursacht und sogar retournierte Waren – vor allem Kleider - vernichtet, weil sich eine Reinigung und Neuverpackung nicht lohnt.

Manche Waren werden eigens als Wegwerfprodukte hergestellt: Ende des 19. Jahrhunderts etwa Manschetten und Hemdkragen aus Papier und die ersten Kugelschreiber – nach dem 2. Weltkrieg Einwegfeuerzeuge und Rasierer, in den 1990er-Jahren sogar Einwegkameras. Wo keine Nachfrage bestehe, schreibt König, entstehe auch kein Angebot.

Die Behörden müssen eine ökologisch verträgliche Entsorgung und Verwertung der Abfälle gewährleisten, in Infrastruktur investieren. Weil dies nicht überall geschieht, treibt der Plastikmüllteppich im Pazifischen Ozean und landen hochtoxische Sonderabfälle auf Deponien in ärmeren Ländern.

Wo ein Wille ist

Wolfgang König hält keine Moralpredigt. Er dokumentiert den Wandel des Westens von einer Mangel- zu einer Überflussgesellschaft und betont, dass Konsumentinnen, Konsumenten und Unternehmen zusammen den Müllberg verursachen.

Er hat ein flüssig zu lesendes, gut recherchiertes, aber auch hoffnungsvolles Buch geschrieben: Seit 75 Jahren sind wir Einwohner des Westens Könige der Abfallproduktion. Historisch gesehen eine kurze Zeit.

Also liesse sich – etwa mit den von König skizzierten Lösungsansätzen – das Rad auch zurückdrehen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 10.3.2020, 9:03 Uhr

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